Hundsköpfe - Roman
Gesängen gefüllt hatte. Arme Frau Mutter , dachte sie und warf unruhige Blicke auf die eingetrocknete Lillian, die niemals ihre eigenen Kinder bekommen hatte.
In der Nacht nach der Beerdigung hörte Leila Frau Mutters monotone Geräusche, die in der unteren Etage ruhelos auf und ab wanderte. »Ich habe meinen Helm vergessen«, waren Hans Carlos letzte Worte gewesen – drei Tage, bevor er starb, und dieser Satz zirkulierte noch immer in Leilas Kopf, schien es doch absurd, daß etwas so Prosaisches wie ein Motorradhelm eine so große Rolle spielte, wenn man mit einem Engel fahren sollte. Dennoch hatte Hans Carlo weiterhin von dem vergessenen Helm gebrabbelt. Wollte Elisabeth ihn ohne Helm nicht mitnehmen? Engel und Satyrn, Könige und Prinzessinnen … Was zum Teufel ist hier los? dachte sie, und während Frau Mutter unten im Wohnzimmer rastlos umherwanderte, entschloß sie sich, ein für allemal alle mythologischen Wesen von der Erde zu verbannen. Es war nicht Gott, der ihre Mutter an diesem traurigen Sommertag vor zwölf Jahren heimgeholt hatte. Es war nicht Gott, der einst ihre Kätzchen geholt hatte, und es war kein Engel auf einem Motorrad, der Hans Carlo über den Fluß des Todes und weiter ins Reich der Engel transportiert hatte. Hokuspokus , redete sich meine Mutter ein, es gibt keine übernatürlichen Wesen, es gibt nichts Mystisches zwischen Himmel und Erde …
Oder anders gesagt: Wenn sie etwas vom Leben haben wollte, mußte sie jetzt damit anfangen und diese Wrackreste einer gekenterten Kindheit hinter sich lassen. Und als die ersten Sonnenstrahlen durch ihr Fenster glitten, kam ein unerwarteter und außerordentlich befreiender Gedanke. Scheiß der Hund drauf , dachte sie, jetzt kann ich machen, was ich will! Als sie aus dem Badezimmer kam, merkte sie zu ihrer großen Verwunderung, daß sie in einer höchst unpassenden Stimmung war. Frau Mutter schaute sie scheel von der Seite an und schickte ihr Blicke voller Vorwürfe, denn die nun elternlose Leila stand tatsächlich am Tag nach dem Begräbnis ihres Vaters in der Küche und pfiff !
Nachdem sie ein Frühstück aus vier Eiern, sechs Scheiben Weißbrot und einer großen Portion Hafergrütze gegessen hatte, begab sie sich mit dem klaren Vorsatz in die Rahmenwerkstatt, die Sache mit Ib zu beenden. Sie hatte den Fluch der Stiefmutter gebrochen und auch das Gefühl gebannt, ein unbeholfenes Schwein zu sein, andererseits hielt er weiterhin an ihrer Prinzessinnenrolle fest. »Sag mir, wieso du mich magst«, hatte sie ihn immer wieder gebeten, und Ib pries ihre Figur, ihre hübschen Augen und ihre feinen Hände. Nun war Schluß mit dem Prinzessinnendasein.
So voller seltsamen Draufgängertums kam sie in die Rahmenwerkstatt, warf sich sofort auf Ib und liebte ihn in einem Schneesturm aus Sägespänen – sie wußte, es war das letzte Mal. Dann setzte sie sich in den Laden und zupfte sich die Sägespäne aus dem Haar, während sie eine kurze Stellenanzeige verfaßte, in der sie einen Mitarbeiter mit Buchhaltungskenntnissen suchte, und in diesem Moment kam als erster Kunde des Tages ein schmächtiger Bursche zur Tür herein. Unter dem Arm hatte er das gräßlichste Gemälde, das Leila je gesehen hatte, und als er nach dem Chef fragte, hörte Leila, daß der arme Kerl einen Sprachfehler hatte. Da sie den norwegischen Akzent irrtümlich für ein sprachliches Handicap hielt, klang ihre Stimme nicht nur triumphierend, sondern es geschah auch mit einem Hauch mütterlicher Fürsorge, als sie auf einen nicht näher bestimmten Punkt zwischen ihren Brüsten zeigte und sagte: »Sie sitzt hier.«
Selbstverständlich waren das große Worte. Sie war jetzt nicht nur der Chef des Ladens, sie war nun auch die Chefin ihres eigenen Lebens. Aber sowie sie die triumphierenden Worte ausgesprochen hatte, fiel der arme Kerl in Ohnmacht und lag da wie eine an die Küste ihres neuen Lebens gespülte Meduse. Der Anblick dieses ohnmächtigen Burschen mit dem gräßlichen Gemälde halb über sich rief in der verwaisten Leila einen Sturm von Gefühlen hervor, sie kniete an seiner Seite, nahm seinen Kopf in ihren Schoß und streichelte ihn vorsichtig mit ihren nach Liebe duftenden Händen.
Fehllieferungen
E s dauerte nicht lange, bis Frau Mutters Trauer von einem rücksichtslosen Spektakel aus dem ersten Stock gestört wurde. Daß Leila beschlossen hatte, sich nach Hans Carlos Tod einem zügellosen Leben hinzugeben, war eine Sache, aber daß Frau Mutter gezwungen war, stumme Zeugin
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