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Hundsköpfe - Roman

Hundsköpfe - Roman

Titel: Hundsköpfe - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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zurück. Ich schlug noch einige Male, bis er ganz still auf dem kalten Zementfußboden lag.
    Als Leila später in den Keller ging, um der wie vom Donner gerührten Bjørk ein kaltes Mineralwasser zu holen, sah sie mich im Nebenraum mit einem Stuhl hantieren. Eher beiläufig – denn ihre Aufmerksamkeit konzentrierte sich mehr auf die arme Schwiegermutter – fragte sie: »Was machst du denn da?« Als sie keine Antwort bekam, verschwand sie wieder. Ich schleppte den Stuhl hinaus. Der Schweiß lief mir in die Augen, als ich den Stuhl vor dem Spalt verkeilte, um den Hundskopf daran zu hindern, aus dem Schattenreich zurückzukehren, in das er ein für allemal verbannt worden war …
    Du lügst! entfährt es Stinne. Das ist doch schlichtweg gelogen!
    Danach ging ich die Treppe hinauf, verschwand draußen in den hellen Abendstraßen und lief im Stadtteil herum, um die anderen Mitglieder des Klubs der Jäger zu finden. Ich traf sie unten am Moor, wo Bjørn gleich mit der üblichen Leier kam: »Wenn sie kommt, dann …«
    »Ja doch, ich werd’ schon … «, entgegnete ich.
    Den Rest des Abends trieb ich mich herum und spielte Cowboy und Indianer, als ob nichts passiert wäre; den Rest des Abends fing ich Kaulquappen im Moorwasser, hüpfte durch die Straßen und wurde nur ein einziges Mal von meiner Mutter gestört, die herauskam, um mir eine unangenehme Frage zu stellen:
    »Weißt du, wo Anne Katrine ist?«
    »Nein«, antwortete ich, »ich hab’ sie heute abend nicht gesehen.«
    Bjørn war zufrieden, daß meine dicke Tante nicht auftauchte. Die übrigen Mitglieder des Klubs der Jäger waren ebenfalls zufrieden mit mir, und ich selbst war überzeugt, daß meine Probleme ein für allemal gelöst seien, bis sich die abendliche Dunkelheit unversehens durch blinkende blaue Sirenen erhellte, deren Licht zwischen den Hausmauern hin und her geworfen wurde, und sich sämtliche Kinder, die noch auf der Straße waren, rasch an der Nummer 7 des Birkebladsvejs versammelten. Genau wie ein halbes Jahr zuvor, als zwei Notärzte in unser Wohnzimmer gekommen waren, um meinen an einem Magengeschwür erkrankten Großvater abzuholen, doch diesmal war es anders. Beim Anblick der Sirenen, der neugierigen Kinder, der sich gemächlich bewegenden Notärzte, die es überhaupt nicht eilig zu haben schienen , versagten mir die Beine, und auf einmal mußte ich mich übergeben und traf Bjørns Hosenbein mit meinem halbverdauten Abendessen.
    »Igitt!« rief er und guckte mich mit einem Blick voller Ekel an.
    Ich ging die Einfahrt hinauf, stolperte über die Treppenstufen und sah meinen Großvater im Flur stehen und weinen. Das hatte ich noch nie gesehen, und erst in diesem Moment, als ich vor meinem erschütterten Großvater stand, verstand ich, was ich getan hatte. In einer eisigen Sekunde wurde mir klar, daß die dicke Tante tot war. Daß ich ein böser und unbarmherziger Junge war. Daß ich es getan hatte.
    Mutter hatte Anne Katrine im Raum unter der Treppe gefunden, hatte den Stuhl aus dem Spalt gezerrt, ihre Rufe hatte man oben im Wohnzimmer gehört, und sie war es auch, die versucht hatte, Leben in ein gebrochenes Herz zu pumpen, Luft in ein paar Lungen, die bereits eine Stunde zuvor ein letztes Mal ausgeatmet hatten. Und als das Leben die Tante verlassen hatte, begann das Fett an den merkwürdigsten Stellen aufzuquellen, so daß man sie erst durch den Spalt bekam, als die Krankenwagenbesatzung zu Hilfe kam. Aber all das hörte ich erst später, denn als ich vor meinem erschütterten Großvater stand, blieb die Welt stehen, und ich kam erst wieder zu mir, als ich in meinem Zimmer lag, in das mich Vater getragen hatte. Eine bedrückende Stille hatte sich über das Haus gelegt, ich wagte nicht, ins Wohnzimmer zu gehen, hielt es aber auch in meinem Bett nicht aus und schlich daher in Stinnes leeres Zimmer, kroch unter ihre Bettdecke und atmete den vertrauten Duft nach Seife ein, während das Haus bis zum frühen Morgen nicht zur Ruhe kam.
    Denn neben der Stille, neben der Trauer und einem jähen Anfall von schlechtem Gewissen, der die gesamte Familie erfaßt hatte, lag in dieser Nacht noch etwas anderes in der Luft. Eine gewisse Unruhe, eine Art wir haben da so ein Gefühl, aber kann das wirklich stimmen , und als der Rest der Familie nach Hause gegangen war, wurde dieses diffuse Gefühl präzisiert. Eine besorgte Mutter in der Rolle des Detektivs analysierte einen Stuhl in einem Spalt, ein Mißtrauen erweckender Satz wurde wiederholt – Ich

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