Hundsköpfe - Roman
Projekt versetzte sie in eine nachdenklich begeisterte Stimmung.
»Das waren Zeiten, was?« sagte Marianne.
Nachdem sie sich an alle halsbrecherischen Unternehmungen im fernen Ålborg erinnert hatten, schien es Niels, als beuge sich die Zukunft über ihn und tippte ihn an die Schulter.
»Laß uns die Zeche prellen«, flüsterte sie ihm ins Ohr. »Das hast du garantiert noch nie gemacht.«
»Okay«, antwortete Niels und dachte, daß er auf diese Weise eine sehr gute Revanche für die abschätzigen Blicke des Kellner bekäme. Also verschwand Marianne auf der Toilette, und als Niels ihr ein paar Minuten später folgte, hatte sie bereits das Fenster über der Schüssel geöffnet und rauchte eine Zigarette im Luftzug des warmen Juniabends. Sie sah wirklich aus wie ein Traummädchen aus den verhexten Wäldern, und Niels stieg auf die Toilettenbrille, küßte ihren sehnigen, starken Hals und verstand nicht, wie fünfundzwanzig Jahre vergangen sein konnten. Was hatte er damit gemacht? Wieso hatte er nicht gelebt? Er wollte ihr gern seine Gedanken mitteilen, aber da war sie bereits halb aus dem Fenster gekrabbelt. »Steh nicht rum und träum«, kicherte sie, »hilf meinem dicken Arsch hier raus.«
Niels schob sie das letzte Stück durchs Fenster, und als er selbst draußen war, purzelten sie beide ins Gras. Sie standen auf und liefen kichernd zur Straße, gingen den Seitenstreifen entlang bis hinunter zur Hafenmole, hüpften dort von Stein zu Stein und blieben beim Anblick ihrer Silhouetten stehen, die sich im schwarzen Wasser spiegelten. Hinter meinem Vater lag der Ärger und das Gezänk der Vergangenheit, vor ihm warteten die Siege und Triumphe der Zukunft. Obwohl sie nicht darüber sprachen, wußten beide, wohin der Weg sie führte – in das erste Hotel, das ihre überwinterte Liebe beherbergen konnte. Niels öffnete die Hoteltür und weckte den Nachtportier, der stehenblieb und diesem nicht mehr ganz jungen Pärchen zusah, das wie zwei närrische Teenager die Treppe hinauflief. Niels merkte erst, wie betrunken er war, als er in dem breiten Doppelbett auf dem Rücken lag. Das letzte, was er spürte, war sein steifes Glied, das sich in die Luft reckte, und die sanfte Berührung einer Frau, die sich über ihn beugte. »Tod und Teufel«, murmelte Marianne zehn Minuten später und weckte ihn mit einem Klaps auf die Wange, »du bist auch nicht mehr der Jüngste, was?«
Als er am nächsten Morgen erwachte, war es sieben, und sein Kopf schmerzte. Neben ihm lag eine schnarchende Marianne Qvist, und obwohl er sich eigentlich beeilen sollte, nach Hause zu kommen, blieb er noch ein bißchen liegen, um sie anzusehen. Ein bißchen Spucke hatte sich in einem ihrer Mundwinkel gesammelt, er konnte den Blick nicht davon abwenden. Schließlich leckte er den Tropfen behutsam weg und ging ins Bad, kam aber noch einige Male zurück ins Zimmer, um nachzusehen, ob sie wirklich noch dalag.
»Ich muß jetzt nach Hause«, sagte er, als er sie eine Stunde später weckte. »Hast du heute abend etwas vor?«
»Oh, bist du wieder der alte?« fragte Marianne Qvist und starrte ihn mit rotgeäderten Augen an. »Geh nach Hause zu deiner Frau, Niels, geh mit deinen Kindern in den Zoo. Ich fahre nächste Woche nach Kanada. Mein Gott, habe ich Kopfschmerzen.«
»Es stimmt schon, ich bin verheiratet«, entgegnete Niels, »aber deshalb entkommst du mir trotzdem nicht.«
Noch an diesem Morgen rasierte er sich den Schnurrbart ab, der seine Oberlippe geziert hatte, seit ihn als frischgebackener Vater Raffzahns Feuer und Geist erfaßt hatten. Frisch rasiert – glücklicherweise war er allein zu Haus und konnte sich bei seiner Sekretärin wieder krank melden – ging er in den Flur. Nebenher warf er sich im Spiegel einen Blick zu und hörte im selben Moment den weichen Aufprall eines Briefes, der durch den Briefschlitz fiel. Es war einer der üblichen vom Finanzamt, und ohne näher darüber nachzudenken, öffnete er den Umschlag und ließ abwesend seinen Blick über das Papier gleiten: Nach zahlreichen Anfragen , usw. usw., nicht zurückgewiesener Verdacht auf eine Reihe falscher Angaben , blabla …, wurde der Beschluß gefaßt, Anzeige zu erstatten … Am 7. Juni 1989 wurde Niels junior Eriksson von einem dritten großen Schwindelanfall innerhalb von zwei Tagen in die Knie gezwungen. Die Wände schwankten, der Boden drehte sich, und kurz darauf hörten einige Kinder, die draußen auf der Straße Fußball spielten, einen Mann SCHEISSE ! brüllen.
Weitere Kostenlose Bücher