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Hundsköpfe - Roman

Hundsköpfe - Roman

Titel: Hundsköpfe - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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Sie guckten in unseren Garten, konnten aber niemanden sehen. Sie beobachteten den menschenleeren Garten weiter, und eine halbe Stunde später sahen sie einen erregten Niels Eriksson wie einen kleinen wütenden Jungen aus unserer Einfahrt laufen. Vielleicht lag es an dem fehlenden Schnauzbart, daß der Dreiundvierzigjährige plötzlich aussah wie ein Junge, vielleicht war es auch etwas anderes, denn fünf Minuten später riß er mit einer heftigen Bewegung die Tür am Tunøvej auf.
    Da stand seine Mutter mit einem Geschirrtuch in der Hand, ja, da stand sie – DIE BRIEFDIEBIN , die so vernarrt in Ärzte war, daß sie ihn seine Kindheit in einem Scheißding hatte verbringen lassen. Und da stand sein Vater – der Alkoholiker, der Tyrann, DER DIEB , er kam gerade von der Toilette –, der sein Leben lang so durstig gewesen war, daß er einen Regenbogenkrug gestohlen und seinen Sohn hinterher mit einem Gürtel verprügelt hatte.
    Und da stand der Sohn … Beide Eltern glotzten ihn seltsam an. Er machte den Mund auf und begann so laut zu brüllen, daß selbst Mutter Randi im alten Zimmer der dicken Tante aus ihrem Dämmerschlaf erwachte. Er warf ihnen die alten Geschichten vor, längst vergessene Fehltritte. Dreiundvierzig Jahre alte Galle strömte aus dem Mund des Jungen, Speichel, unversöhnliche Worte und nie ausgesprochene Beschuldigungen vermischten sich. Die entgeisterten Eltern verstanden gar nichts, hatte denn nicht immer Essen auf dem Tisch gestanden? Liebten sie nicht ihren Sohn, und waren sie nicht stolz auf ihn, wenn er in seinem schicken Mercedes in die Einfahrt ihres allmählich etwas vernachlässigten Hauses gefahren kam? Hatte Bjørk nicht mit ihm in den Spielklubs geprahlt? Hatte Askild sich nicht immer gewünscht, daß er wenigstens einmal im Leben im Corner erschien, damit seine Saufkumpanen einen kleinen Eindruck von seinem Sohn bekommen konnten? Aber er wollte ja keinen Fuß da hineinsetzen. Seine Eltern waren ihm ja immer peinlich gewesen, und in den letzten paar Jahren hatte er sie, um es mal vorsichtig auszudrücken, auch nicht besonders oft besucht.
    Erst viel später – als der Sohn mit fünfundzwanzigjähriger Verspätung durchgebrannt war – erkannte Bjørk, daß an allem nur der Dämon die Schuld trug, den sie einst in Ålborg gesehen hatte, wie er obszöne Nummern mit einem grünen Teddybären vorführte; und Askild war überzeugt, es hätte daran gelegen, daß sein Sohn in diesem Moment, in dieser Situation, nur mit dem Schwanz dachte. Doch als die Tür eine halbe Stunde später mit einem Knall zuschlug und der Sohn genauso plötzlich verschwand, wie er gekommen war, sanken sie beide ins Sofa und starrten fassungslos in die Luft. Großvater mit offenem Reißverschluß und Großmutter mit einem zerknüllten Geschirrtuch in der Hand. Es dauerte einige Zeit, bis sie wieder soweit zu Kräften gekommen waren, daß sie sich erheben konnten.
    Vater setzte seinen Rundgang fort. Auch andere bekamen an diesem Tag Besuch von Niels Eriksson. Banken zum Beispiel, bankrotte Firmen, sanierungsreife Unternehmen … Niels liquidierte und löste auf, versteckte Papiere, packte seine Koffer, war besonders freundlich zu seinen Kindern, obwohl er den Grund nicht verriet, und in der darauffolgenden Woche saß er mit Marianne Qvist in einem Flugzeug nach Kanada. Eines späten Abends, nicht lange vor der Mittsommernacht, flogen sie den ganzen Weg über den Atlantik auf die tanzende Abendsonne zu. »Jetzt tun wir’s doch«, flüsterte sie ihm ins Ohr. Daß Vater sie einige Tage zuvor in seine Probleme mit dem Finanzamt eingeweiht hatte, ließ das Wiedersehen nicht weniger glücklich werden. Obwohl sie juristisch gesehen mit einem gesuchten Verbrecher reiste. »Hier kommen wir «, fuhr sie mit klarer und deutlicher Stimme fort, »haltet die Hüte und Brillen fest!«
    Und so – den Blick auf eine Sonne gerichtet, die nicht untergehen wollte – verschwand Vater aus unserer Geschichte. Das Wohnzimmer war nicht fertiggestrichen, um uns herum herrschte Chaos, Mutter verstand nichts, und der Spundpfropfen bekam den berüchtigten Brief erst einige Tage später in die Finger. Auch ihn überkam ein Schwindelanfall, im Gegensatz zu gewissen anderen gab er jedoch nicht einfach auf. Er versuchte, die Reste zu retten. Die ganze Nacht saß er schweißtriefend über unüberschaubaren Abrechnungen und mußte schließlich feststellen, daß er bis zum Hals in der Scheiße steckte. Nach Vaters Verschwinden erschien er

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