Hundsköpfe - Roman
mehrfach im Haus am Birkebladsvej, verbrachte Stunden damit, Kisten und unübersehbare Mengen von Papier zu durchwühlen, und wenn wir versuchten, ihm zu helfen, machte er einen gereizten Eindruck, denn er – ein Mann, der sein Leben im Griff hatte – hockte in Vaters Arbeitszimmer auf den Knien, während alles um ihn herum zusammenbrach.
Im Laufe der Wochen wurde er jedoch wieder umgänglicher und unterhielt sich in der Küche sogar mehrmals mit Stinne, wenn Mutter Nachtwache hatte. »Ich weiß, wo er ist, ich werde ihn schon finden«, stöhnte er.
Ein paar Wochen später bekam Mutter einen Brief. Sie las ihn hastig, versteckte ihn hinterher und sagte: »Euer Vater hat mich gegen ein jüngeres Modell getauscht. So sind Männer nun einmal. Sie ertragen es nicht, alt zu werden.«
Das war ihre Art, die Misere zu erklären – obwohl Marianne Qvist nur anderthalb Jahre jünger war als Mutter, doch das hielt sie nicht für das Wesentliche. »Nicht euer Vater ist dafür verantwortlich«, jammerte Bjørk, »es ist sie , es ist dieses Flittchen.« – »Heilige Jungfrau«, flüsterte Mutter Randi, als ihr zwei Monate später in einem klaren Moment bewußt wurde, daß Niels junior nicht mehr in Dänemark war. »Ist er nun auch durchgebrannt und zur See gegangen?«
Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Vater endlich zusammengerissen und auch dem Spundpfropfen geschrieben. Und an dem Tag, an dem der Spundpfropfen eigentlich auf der Polizeiwache hätte erscheinen sollen, um sich der ersten einer langen Serie von Vernehmungen zu unterziehen, fuhr er statt dessen zum Flughafen Kastrup, ließ seinen smarten Wagen auf einem zufälligen Parkplatz stehen und stieg an Bord eines Flugzeugs nach Montreal.
In den gut ein Jahr später begonnenen Verhören wurde mit aller Deutlichkeit klar, daß die beiden Beschuldigten große Geldbeträge von ihren Bankkonten verschoben hatten. Es gab sogar Gerüchte, daß sie eine Reihe von sanierungsreifen und bankrotten Firmen bis zum Schluß gemolken hätten. Wütende Gläubiger rauften sich die Haare, Angestellte fürchteten um ihre Jobs, und leitende Direktoren mußten offen bekennen, daß sie ihrer Aufgabe nicht gewachsen gewesen waren und sich leider von den beiden Bauernfängern an der Nase hatten herumführen lassen … Durch den Rückspiegel betrachtet, hätten wir es möglicherweise wissen können. Wenn das Glas nicht beschlagen ist, ist im Rückspiegel alles klar.
7
Mount Blakhsa
E s tropfte in unserer Geschichte; ja, der Rückspiegel beschlug, und eines schönen Tages konnte ich meine Geschichte von den Abendnebeln, die aus dem Moor hinter unserem Haus aufstiegen, oder von den dichten Dampfschwaden, die aus dem Badezimmer drangen, wenn meine Schwester die Tür aufstieß und den ganzen Weg bis zu ihrem Zimmer nasse Fußspuren hinterließ, nicht mehr unterscheiden. So ging es viele Jahre, bis die frische Luft der Konservendosen aus Bergen kam und Großmutters konfuses Gerede neue Fäden spann und Bilderteppiche webte, die sich auf unserer Netzhaut spiegelten und meine beschlagene Geschichte in eine neue Perspektive rückten. Indem sie sich allerdings einbildete, daß Vater der Absender der großzügigen Luft war, wich Großmutter der Tatsache aus, daß sechzehn Monate nach seinem plötzlichen Verschwinden die Dunkelheit durch uns hindurchging.
Die Dunkelheit war eines späten Abends ein Telephonanruf.
Und als sie erst einmal durch uns hindurchgegangen war, sah Mutter Gott, Stinne begann an der Universität, und ich selbst klaute sechs Tuben Farbe aus dem Schuppen mit den gestohlenen Fahrrädern und malte eine undichte Meerjungfrau, bei deren Anblick meine Schwester mich mißbilligend ansah. Es war mein erstes Bild, aber ihr gefiel es nicht. »So oft gehe ich doch gar nicht mehr ins Bad«, sagte sie.
Es war der Spundpfropfen, der anrief. Beim Besteigen eines Berges, von dem wir noch nie gehört hatten, in einem Land, von dem wir nicht wußten, daß Vater dorthin gefahren war, hatte ihr Sherpa in einem Traumgesicht den Schatten einer schwarzen Frau gesehen, mit einer roten Zunge und einem Gürtel, an dem mehrere abgeschnittene Köpfe hingen. Marianne Qvist hatte einen Hund gesehen, von dem sie glaubte, es wäre ihr alter Freund McWalter. Der Spundpfropfen sah einen Moment lang eine Krähe, die ihre Flügel ausbreitete und den Mount Blakhsa ein Stück hinaufflog, und Vater hörte eine Stimme, die er nicht mehr vernommen hatte, seit sie 1959 aus den verhexten Wäldern des Nordlandes
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