Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hundsköpfe - Roman

Hundsköpfe - Roman

Titel: Hundsköpfe - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
Vom Netzwerk:
Kunststücke auf dem Nyboværftsvej übten, fuhren sie die Route durch Ålborg unzählige Male ohne Augenbinde ab. »Die Vorbereitung ist die wichtigste Phase«, erklärte Niels junior und erzählte überall von seinem gewagten Projekt. Eines Tages hatte Askild jedoch genug von den Dummheiten seines Sohnes, er schlug auf den Tisch und verbot ihm, seinen idiotischen Plan durchzuführen. Bjørk hatte es ihm bereits mehrfach verboten, und an seinem sechzehnten Geburtstag bekam Segelohr eine Karte von Randi, die ihn mit aller Macht verwarnte: Wenn die Hormone steigen , schrieb Randi, geht der Verstand flöten. Ich verbiete Dir, mit einer Binde vor den Augen durch diese widerliche Stadt zu fahren.
    Großmutter war überzeugt, daß Marianne den Sohn dazu gebracht hatte, jegliche Erdung zu verlieren. Selbst wenn ich Bjørk im Pflegeheim besuche, verdüstert sich jedesmal, selbst nach so vielen Jahren, der Blick ihrer Augen, wenn ich den Namen der Nachbarstochter von Nyboværftsvej erwähne, und auch meine Schwester erregt sich, wenn die Rede auf Marianne Qvist kommt.
    »Wieso vergessen wir die dumme Gans nicht einfach?« fragt Stinne. »So wichtig ist sie nun auch wieder nicht.«
    Aber das geht nicht. Marianne muß dabeisein, außerdem ist Stinnes Blick auf Marianne Qvist durch Jesper beeinflußt …
    »Was für ein Quatsch!« protestiert sie.
    Aber das ist eine andere Geschichte. Damit will ich Stinne nicht jetzt quälen.
    Marianne Qvist war als kleines Mädchen ein wildes Kind, das bereits als Dreijährige mit Regenwürmern, Schnecken und anderen kleinen Tieren nach Hause kam. In den ersten Jahren hatte ihr Vater sie aufgefordert, in der Natur auf Entdeckungsreise zu gehen, auf Bäume zu klettern, kleine Pfützen auf Insektenlarven zu untersuchen und die Straßenvögel mit Dreck zu bewerfen, während die Mutter ihre Tochter nur voller Ekel betrachtete. So wurde sie vor allem die Tochter ihres Vaters. Häufig nannte er sie ein Zigeunerkind. Als Kind hatte er nämlich ein Zigeunerlager in der unmittelbaren Nachbarschaft, und der Anblick der durchreisenden Zigeuner übte eine gewisse Anziehungskraft auf ihn aus, ebenso wie die Postkarten, die alljährlich zu Weihnachten von einem Onkel aus Grönland kamen. Es lag also ein gewisses Wohlwollen in dem Prädikat Zigeunerkind, nur seine Frau Karen konnte nichts Bezauberndes daran entdecken.
    »Du sollst meine Tochter nicht ein Zigeunerkind nennen!« erregte sie sich. »Und du sollst mit diesem Unfug über Grönland aufhören – wieso sollen wir uns denn da oben unter diese Scheißgrönländer mischen?«
    Der Schmied wußte, daß Karen bei dem Anblick der Insektenlarven und Vogelskelette erschauderte, mit denen er allmählich das Zimmer seiner Tochter füllte; daß sie sich ekelte, wenn er sonntags die sechsjährige Marianne zum Angeln mitnahm und mit einer Tochter nach Hause kam, die mit blutigen Eingeweiden und Fischschuppen beschmiert war; daß sie vor Furcht erblaßte, wenn er im Garten hinter dem Haus Bretter in die hohe Ulme nagelte, damit Marianne bis in die Krone klettern und hier – wie ein Affe auf dem höchsten Ast, der gefährlich im Wind schwankte – rufen konnte: »Guckt mal, was ich kann!«
    Karen machte sich Sorgen um das arme Mädchen, das der verrückte Ehemann schlichtweg in einen Jungen verwandeln wollte, und als sich der erste Schultag der Tochter näherte, setzte Karen eines Abends das behütete Leben am Nyboværftsvej aufs Spiel und ihrem Gatten den Stuhl vor die Tür: Andere Klöße in die Suppe, sonst ist Schluß, finito! Unsere Tochter ist kein Junge! Der Schmied hörte sich die Vorwürfe seiner Frau eine geschlagene Stunde lang an. Dann stand er auf und ging in den Garten hinterm Haus, kletterte in die Ulme und begann, die Bretter herauszureißen. Am nächsten Tag verschwanden die Vogelskelette und Insektenlarven aus dem Zimmer der Tochter, und der für Sonntag versprochene Angelausflug wurde abgesagt und durch eine Einkaufstour am Montag ersetzt, bei der Karen außer dem Kauf einer Schultasche und Bleistiften auch genügend Zeit bekam, in ein Modegeschäft zu gehen, dessen außerordentliche Auswahl an Kleidern, Schleifen und Schuhen Marianne erstarren ließ.
    Die Verwandlung war total. Am ersten Schultag der Tochter gellten laute Schreie durchs Haus, doch der Schmied kam seiner Tochter nicht zu Hilfe. Er verließ die Wohnung, ohne Marianne anzusehen, die nach einigen Handgreiflichkeiten bereit war, in ihr neues Leben einzutreten – bekleidet

Weitere Kostenlose Bücher