Hundsköpfe - Roman
aufzuhalten. Es dauerte nicht lange, bis er sich Askilds Teleskop ausgeliehen und auf der Fensterbank installiert hatte und nun halbe Nächte mit dem Auge an den Sucher gepreßt dasaß, ein stummer Zeuge von Ritualen, die einem Außenstehenden trivial erscheinen mußten: Marianne, die ihr Haar vor dem Spiegel richtete, bevor sie ins Bett ging; der Schmied, der hereinkam, um gute Nacht zu wünschen; die Mutter, die sich auf die Bettkante setzte und ihr den Rücken streichelte. Er stellte fest, daß sie gern am Rücken gestreichelt wurde, daß sie die Angewohnheit hatte, den Mund zu spitzen und sich selbst im Spiegel betörende Blicke zuzuwerfen, und daß sie nie vergaß, einen grünen Teddy zu küssen – den häßlichsten von allen, die auf dem Regal saßen –, bevor das Licht gelöscht wurde. Ein halbes Jahr später registrierte er zu seiner großen Verblüffung, daß sie den Teddy nicht nur küßte. Ein paarmal plazierte sie ihn zwischen ihren Beinen, wenn sie im Bett lag, und klemmte die Schenkel so fest zusammen, daß er beinahe verschwand. Der Anblick des nunmehr dreizehnjährigen Mädchens mit einem grünen Teddy zwischen den Beinen ließ ihn schwindelig werden, und er schmiedete unrealistische und ziemlich weitgehende Pläne, wie er sich bemerkbar machen sollte. Doch ohne Appelkopps Selbstvertrauen, ohne die flache Monotonie der dänischen Sprache zu beherrschen und nach seinen peinlichen Erfahrungen mit Linda im Gebüsch, fand er auch tagsüber keine brauchbarere Rolle, als die des stummen Voyeurs. In der Zwischenzeit wuchs sein Körper, die Ohren schrumpften, die ersten jütländischen Töne verirrten sich in seine Sprache, ein blasser Schatten, der an mangelndem Schlaf lag, legte sich über sein Gesicht, und ein dunkler Ring – als Folge des engen Kontakts mit dem Sucher des Fernrohrs – begann sich um sein linkes Auge abzuzeichnen.
In einer Herbstnacht des Jahres 1960 wurde der stumme Voyeur plötzlich durch etwas flackernd Weißes in der Dunkelheit abgelenkt. Es war die Wäsche, die die Nachbarsfrau vergessen hatte abzunehmen, und die nun an der Wäschespinne hing und unruhig im Herbstwind flatterte. Er stellte das Teleskop ein, und sein Blick fiel auf ein weißes Baumwollhöschen, das ohne Zweifel dem Mädchen gehörte. Einen Augenblick später war er aus dem Fenster gesprungen und den Weg hinüber zum Garten des Schmieds gelaufen, und während er sich nervös nach allen Seiten umsah, schnappte er sich das Höschen und steckte es in die Tasche seiner Schlafanzughose. Das Höschen versteckte er in der obersten Schublade seines Nachttisches und zog es häufig hervor, wenn er nachts dalag, ohne Schlaf zu finden.
Schon halb im Traum, stellte er sich vor, er wäre ein grüner Teddy, bekam von dem Mädchen aus den Traumwäldern einen Gutenachtkuß und wurde dann zum Schlafen zwischen ihre kräftigen Schenkel gelegt. Die Phantasien befriedigten ihn nicht richtig, am beunruhigendsten war allerdings der Gedanke, daß Bjørk das Baumwollhöschen auf dem Kopfkissen entdecken könnte, wenn sie ihn morgens weckte. Er schwor, daß er sich bald davon trennen würde, und überlegte wie ein Besessener, wie in aller Welt er sich ihr bemerkbar machen sollte.
Die Antwort erhielt er im zweiten Sommer in Ålborg. Sie kam in Form eines schäbigen Fahrrads aus einem Gebüsch, an dem Askild jeden Tag auf seinem Weg zur Arbeit vorbeikam. Nachdem Großvater oft genug an dem herrenlosen Rad vorbeigegangen war, nahm er es einfach mit nach Hause und schenkte es seinem Sohn zu seinem fünfzehnten Geburtstag. Und als er so vor seinem ersten Fahrrad stand, begriff Segelohr, daß er eine Antwort auf seine Frage bekommen hatte: Kurz und gut, er mußte als der furchtlose Radfahrer in Erscheinung treten.
In der folgenden Zeit sah man einen fünfzehn Jahre alten Jungen auf der Straße, der sich mit dem gleichen Eifer, mit dem er sich einst der Kunst des Nüsseknackens hingegeben hatte, nun auf gefährliche Fahrrad-Stunts einließ. Bald sah man ihn hin und her rasen, ohne daß er die Hände am Lenker hatte. Er lernte, mit einer Binde vor den Augen zu fahren, wobei er soviel wie nötig schummelte. Er experimentierte damit, statt der Beine die Hände zu gebrauchen, und überwand sogar Bordsteinkanten, während er verkehrt herum auf dem Fahrrad saß – aus dieser Zeit stammt Bjørks Bild des fahrradfahrenden Sohnes, der in einer wahnsinnigen Spirale dahinkurvt, bis er vom parkenden Wagen des Milchmannes aufgehalten wird. Bjørk, die
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