Hundsköpfe - Roman
aus dem Haus rannte, um nach dem Knie ihres Sohnes zu sehen, bemerkte sofort die vierzehnjährige Tochter des Nachbarn, die die Straße hinunter verschwand und dabei einen geheimnisvollen Blick über die Schulter warf. Auf der Stelle zählte sie zwei und zwei zusammen. Verrückter Bengel , dachte sie und lächelte ein wenig, aber als der Winter kam, machte sie der Anblick ihres radfahrenden Sohnes, der seine Fahrradkunststücke nun auf den gefrorenen Pfützen der Straße trainierte, so nervös, daß sie ihm eines Tages vorschlug, das Nachbarmädchen zum Tee einzuladen.
»Zum Tee!« rief Segelohr erschrocken. »Und was ist, wenn sie keinen Tee mag?«
Den gesamten Winter über wiederholte Bjørk in regelmäßigen Abständen ihren Vorschlag, doch Segelohr wich ihr immer wieder aus. Dann änderte sie die Strategie und versuchte mit eher unpräzisen Beiträgen die Wahnvorstellung des Sohnes zu korrigieren, daß Mädchen sich von dummdreisten Wagehälsen angezogen fühlen. Mit Metaphern, die sie ihren Arztromanen entnahm, beschrieb sie ihm, wie gefühlvoll Männer Frauen zum Schmelzen bringen können, daß Höflichkeit weit wichtiger sei als Mut und Herzlichkeit selbst die größten Darbietungen übertreffe. Durch ihr Küchenfenster am Nyborværftsvej mußte sie allerdings zu ihrem großen Entsetzen sehen, daß nicht alle die Waghalsigen so beurteilten wie sie.
»Das kann doch jeder«, sagte Marianne Qvist, wenn Segelohr seine wahnsinnigen Kurven fuhr, worauf sie etwas verbindlicher und mit einem Anstrich von Sinnlichkeit hinzufügte: »Ich kenne einen, der dabei auf dem Lenker stehen kann.« Und er kletterte auf den Lenker, landete in der nächsten Hecke, und die Straße hinunter verschwand eine gnickernde Gestalt.
»Du mogelst!« rief sie, wenn er sich sein Halstuch vor die Augen band. »Du kannst unten durchsehen!«
Als Marianne Qvist das erste Mal zu ihm kam, um das Halstuch ordentlich zu verknoten, verspürte Segelohr ein Grummeln im Bauch, das schon bald von Furcht abgelöst wurde, als er sich vollkommen blind aufs Fahrrad setzte und die Straße hinunterzuschlingern begann. Die ersten zehn Meter gingen noch recht gut, doch dann hörte er plötzlich Motorengeräusche. »Halt dich rechts!« schrie Marianne, und er lenkte abrupt nach links, mit dem Ergebnis, daß der Schmied, der mit seinem Auto von der Arbeit kam, beinahe einen furchtlosen Radfahrer als Kühlerfigur gehabt hätte.
»Zigeunerbengel!« brüllte er und drehte das Seitenfenster herunter. »In Dänemark fährt man im Straßenverkehr nicht mit einer Binde vor den Augen Fahrrad!«
Die Geschichte mit dem Auto des Schmieds entschied die Sache. Am nächsten Tag hielt Bjørk die Nachbarsfrau auf dem Fußweg an, lud sie für den kommenden Nachmittag zum Tee ein und bat sie, ruhig auch ihre Tochter mitzubringen. Hinter Bjørks Einladung steckte zudem die Einsicht, daß sie in Dänemark einsam war. Dieses Gefühl kannte sie aus früheren Zeiten, aber in Dänemark war die Einsamkeit schlimmer, zumal die Leute sie wegen ihres Akzents häufig erschreckt anschauten, wenn sie den Mund aufmachte. Die Nachbarsfrau schien ihr einen freundlichen Eindruck zu machen, und Askild lud eigentlich nie Gäste ein. Um den Sohn nicht zu beunruhigen, erzählte sie nichts, und so brachte er kein Wort heraus, als er am nächsten Nachmittag ins Wohnzimmer gerufen wurde, um die Gäste zu begrüßen. Das vierzehnjährige Mädchen saß maulig neben seiner Mutter auf dem Sofa und schenkte ihm nicht einen Blick, und auch Bjørk war ein wenig nervös und begann schon bald, Geschichten aus dem zauberhaften Nordland zu erzählen.
Während all der Erzählungen Bjørks gähnte Marianne demonstrativ, aber als Bjørk eine Stunde später vorschlug, daß Segelohr Marianne sein Zimmer zeigen sollte, schien sie eine Spur interessierter. In seinem Zimmer fragte sie mit einer unbestimmten Ironie in der Stimme, was sie eigentlich in Dänemark wollten, wenn Norwegen so phantastisch war, wie Bjørk behauptete. Dann bat sie um etwas Milch für ihren Tee, und als Segelohr in der Küche verschwunden war, fing sie an, in seinen Sachen zu stöbern. Als erstes bemerkte sie ein altes Fernrohr auf dem Fensterbrett, sie guckte hindurch und wurde Zeugin eines sehr beunruhigenden Anblicks ihres eigenen Zimmers im Tageslicht. Ein unheimliches Gefühl, entdeckt zu sein, durchfuhr sie, und als Segelohr mit der Milch zurückkam, sagte sie nur: »Hättest du auch noch Zucker, das wäre lieb« – und setzte
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