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Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Dornhagen, dem andern Autor, und der Verleger war auch nicht weit entfernt. Halb beleidigt attackierte er Hessenberg wegen Sowtschicks Büchern! Schon vor Monaten bestellt und erst einen Tag vor der Lesung per Expreß gekommen, nach x Telefonaten und Eilbriefen.

    «Und dann, lieber Herr Hessenberg, diese zögerliche Gutschrift der Remittenden vom letzten Mal …» Ob er da nicht mal Dampf machen könnte?

    Dann mußte die Lautsprecher-Musik gestoppt werden, die der Besitzer der «Grotte» für grottenartig hielt. Musik in einem Lokal dieser Preisklasse? Wo Leute verkehren, die sich was zu sagen wissen? Man ist doch nicht sonstwer? Geben Sie dem Mann am Klavier ein Glas Bier, ein Glas Bier?

    Der Kellner bedauerte, die Musik abstellen, das gehe überhaupt nicht. Wenn der Apparat laufe, dann laufe er. Aber der Geschäftsführer – «man muß immer sofort den Geschäftsführer rufen» – sagte: «Aber natürlich, wir stellen das selbstverständlich ab.» Obwohl andere Gäste so was schätzten! Knack. Die Leere haue manche Gäste direkt um. «Wenn die in ein Lokal ohne Musik kommen, dann gehen die sofort rückwärts wieder raus.» So sei das heute.

    Zehn Minuten später ging die Musik wieder an: «People, people who need people …» Da mußte dann ein ernstes Gesicht gemacht werden: Wenn diese Musik nicht augenblicklich abgedreht wird, dann kommen wir das nächste Mal mit Herrn Sowtschick nicht wieder hierher. Der ist doch noch absolut kaputt von der Pressekampagne gegen ihn. Der braucht doch Ruhe!

    Ja, überhaupt, der Mord. Nun mal alle herhören, nun soll Sowtschick mal von dem Mord erzählen, was war das überhaupt für’ne Sache, richtig mit Polizei? Handschellen? Hausdurchsuchung?

    Für einen einzigen Augenblick war Sowtschick Mittelpunkt der Szenerie, das, was man essen will, kann man ja bequem auch nebenbei aussuchen, und, wenn man es leise tut, kann man sogar weitersprechen mit seiner Tischdame, Witze erzählen, zum Beispiel, so wie von Dornhagen das jetzt tat, um Carola zum Lachen zu bringen.

    «Rinderfiletspieß? Ich bin doch kein Kannibale!»

    Dann kam der Kellner, um die Bestellung aufzunehmen, und Sowtschicks Erlebnis-Geschichte verbuddelte gänzlich, nur der Verleger hörte noch eine Weile zu: «Wissen Sie, daß Ihre Verkaufszahlen dramattisch in die Hö-he geschossen sind?» fragte er Sowtschick, der an diesen Aspekt der Affäre noch gar nicht gedacht hatte. Er bestellte daraufhin getrost noch eine ukrainische Rote-Rüben-Suppe zusätzlich zum Filetsteak. In diesem Falle konnte man den Verleger ja ruhig etwas schädigen.

    Nun wurde über die Lesung gesprochen, «Die Winterreise». Zeit wurde es, Sowtschick wartete schon. Manches habe ihm durchaus gefallen, war die Meinung des Verlegers, wie schon gesagt. An Thomas Mann habe er denken müssen, und eigenartig, er habe auch ein wenig Schubert vor sich hin gesummt. Engelbert von Dornhagen fragte über den Tisch, diese Ineinanderschachtelung des Romans, Puppein-der-Puppe-artig – Winter, Sommer, Winter –, ob Sowtschick diese Schachtelgeschichte von Tieck kenne, ein Leckerbissen für jeden Germanisten? An diese Tieck-Sache habe ihn die «Winterreise» erinnert, Tieck habe das ja unübertroffen hingekriegt, am Ende kennt sich kein Mensch mehr aus.

    Der Verleger sagte: «Nein! Nicht Tieck!» Er habe, wie gesagt, zeitweilig an Thomas Mann denken müssen, «Zauberberg», «Tod in Venedig». Diese Assoziation werde sicher als Einwand auch von der Kritik kommen, damit müsse man rechnen. Am besten in affirmativer Praxis gleich behaupten, man habe eine Parodie beabsichtigt?

    «Oder? Geben Sie’s zu, Meister! Sie haben Ihren Text maskiert, ja?»

    Als die Suppe kam und alle über den Löffel pusteten, daß die Kerzen flackerten, rief der Buchhändler, er habe merkwürdigerweise auch ein wenig an Erich Kästner gedacht, in positivem Sinne natürlich, dieser Film da mit, wer spielte da noch mit? Paul Dahlke? Und es wurden Bücher von Kästner aufgezählt, die auch alle ganz vorzüglich seien. Paul Dahlke mit seinem angeknabberten Ohr. Hatte der nicht mal Beethoven gespielt? Ach nein, das war ja René Deltgen gewesen …

    Dann drehte sich das Gespräch nur noch über: wer, was, wo gegessen habe, alle fanden das Essen vorzüglich, außer Sowtschick, dessen Toastscheiben lappe waren. Die zweiunddreißigjährige Buchhändlerin mit der randlosen Brille fragte stark ausatmend, ob er dies oder jenes gelesen habe, was er jeweils verneinte oder bejahte, und sie

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