Hundstage
schwärmte ihm vor, wie toll die Lesung von der Drachwitz gewesen sei. Ganz in sich gekehrt habe sie am Tisch gesessen, zart und zerbrechlich, akustisch kaum zu verstehen. Dabei unglaublich engagiert! Und sie erzählte ihm zu seinem Schreck den Inhalt der neuesten Drachwitz-Novelle: Ein Terrorist verliebt sich in die Tochter eines Polizisten, der mit einer Jüdin verheiratet ist. Eines Tages zieht ein gehbehinderter Türke in das Haus ein, und da kommt es dann zum Knatsch. Und dann fiel ihr ein, zu fragen, ob Sowtschick nicht mal was schreiben könne, bei dem man nicht lachen muß? So in der Art des todtraurigen Hellmuth von Kassel, diese unverwechselbar heutige Prosa … Oder mal Gedichte? Ob er mal versucht habe, Gedichte zu schreiben? Seit einiger Zeit komme dauernd ein junger Mann in den Laden, der wisse zwar den Unterschied zwischen Böll und Benn nicht so recht, aber der habe ihr Gedichte vorgelegt, die einfach fas-zi-nierend seien.
Von Dornhagen berichtete von einem Napoleon-Film, noch aus der Stummfilmzeit, auf drei Leinwänden vorzuführen, mit Orchester! Der Regisseur habe den Pferden Filmkameras unter den Bauch gebunden, unglaublich modern …
Dann mußten alle aufstehen, die Löffel klatschten in die Suppe, weil Frau Röwekamp erschien: Obwohl, ziemlich abgetakelt mit ausgepolsterten Schultern und arabischen Pump-Hosen, wie es die Mode befahl. Man küßte ihr die Hand und erklärte ihr: das da drüben sei Sowtschick, der habe grade eine unheimlich tolle Lesung hinter sich gebracht. Da habe sie was versäumt!
«So?» sagte sie fettglänzend und schob die Armreifen hoch und sah ihn an, als ob sie ihn fürs Bett taxieren müßte. Sie rächte sich für den Fleiß ihres Mannes damit, daß sie dauernd vom Himmel fiel, besonders dann, wenn von Büchern oder Autoren die Rede war.
Sowtschicks Quecksilbersäule sank. Er dachte daran, daß die Drachwitz einen Preis nach dem andern kriegte, weil sie zu den Achilles-Günstlingen gehörte, und daß Hellmuth von Kassel – «Betonung auf der zweiten Silbe» – jüngst Stadtschreiber geworden war, weil der Münchner Klüngel ihn mochte. Es kam der Moment, in dem er sich hätte entfernen mögen, in dem er das sogar hätte tun können, ohne daß dies bemerkt worden wäre. Die Dinge wurden erst wieder ins Lot gerückt, als sich der Geschäftsführer der Grotte Sowtschick näherte und um eine Unterschrift ins Gästebuch bat, in dem sich sowohl Shilly Billy als auch Horowitz verewigt hatten.
Des Lebens ungemischte Freude
ward keinem Irdischen zuteil!
schrieb Sowtschick ein, und er freute sich, daß Carola Schade auf «Goethe» tippte, was sofort Protest auslöste. Das war natürlich Schiller, «Glocke» wahrscheinlich, oder «Taucher». Gedichte werden ja überhaupt nicht mehr gelernt, hieß es, kein Mensch kennt mehr Uhland: «… Das Leben wird schöner mit jedem Tag», oder: «… Nächtlich am Busento lispeln bei Cosenza dumpfe Lieder»: Platen. Oder die Droste! Eichendorff! «O Täler weit, o Höhen!»
Nein, hier war man sich einig, die Schulreform habe versagt, und zwar auf der ganzen Linie. Orientierungsstufe, Gesamtschule, und daß man das Abitur ohne Deutsch machen kann, ohne die Muttersprache also, so was gibt’s auf der ganzen Welt nicht noch mal. Und dann die Verpestung der Sprachlandschaft durch Schlagworte, wie: «echt fetzig», «total ätzend»? Nein, die Unkenntnis, ja Dummheit der Schüler heutzutage war unbeschreiblich.
Ohne Dings kein Bums, dachte Sowtschick, und daß ihn die Mädchen «Greislein» genannt hatten, und er sah sich im Garten sitzend, in jener einzigen Nacht, mit Malven bekränzt, und er fand es bedauerlich, daß er nicht die Schallplatte mit den Nachtgeräuschen aufgelegt hatte, damals, mit der Nachtigall und dem Grillenzirpen. – Er konnte grade eben noch anbringen, daß Schiller auch nicht gerade das Gelbe vom Ei sei, immer diese bescheuerten Frauengestalten: «Amalie rannte wider die Bäume», da überbot schon wieder einer den anderen im Zitieren. Von Dornhagen schoß den Vogel ab mit Hölderlin, die Sache mit den Handwerkern. Daß er nur Handwerker sieht, aber keine Deutschen. Die Deutschen? Bei Gott ein beschissenes Volk … Napoleon übrigens, er möge gewesen sein, wie immer er wolle, der habe in seiner Kutsche stets eine kleine Bibliothek mit sich geführt: die ausgelesenen Bücher aus dem Fenster geschmissen.
Ehe das Gespräch auf dieses Thema übergreifen konnte, faßte sich Sowtschick an den Kopf und sagte,
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