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Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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besonderes Vergnügen, auf die Minute genau zu enden. Auch die Zuhörer wußten, daß er pünktlich war, und hier und da gab’s schon verstohlenes Uhrengezücke: Mal sehen, ob er es diesmal schafft.

    Nach genau sechsundvierzig Minuten klappte Sowtschick das Manuskript zu und sagte: «Ich danke Ihnen.» Die Hände wurden geklatscht, und durch das Klatschen aufgeschreckt bellte ein Hund, was zusätzlich Beifall hervorrief.

    Sowtschick stauchte die Manuskriptblätter auf und nickte. Und als das Klatschen ganz und gar nicht aufhören wollte, gab er sich bescheiden und gerührt. Vor jenem droben steht gebückt: Bitte nicht, nicht klatschen … Ich bin’s ja gar nicht wert, und weil er sich so gerührt gab, war er es schließlich wirklich.

    In der Diskussion, die sich sodann anschloß, wurde gefragt, ob Sowtschick alles mit der Hand schreibt, und – Bücher sind ja so furchtbar teuer! – wann denn die «Winterreise» als Taschenbuch erscheint? Ob er sich auch mal zeitgemäßen Themen zuwende, wollte ein Anti-Atomkraft-Freak wissen, und ein älterer Herr konstatierte, daß in Sowtschicks Büchern keinerlei Gerüche vorkämen. Das sei doch merkwürdig, keinerlei Gerüche! Eine feinere Frau fragte, ob sich die Polizei bei ihm entschuldigt habe wegen des falschen Verdachts? Und ein Diplomingenieur stellte bezüglich Fingerlings Antiquitätengeschäft fest, daß Schaufensterscheiben heutzutage nicht mehr zufrieren. Eisblumen? Die gäb’s doch gar nicht mehr. Da sei die Phantasie wohl mit ihm durchgegangen?

    «Wie darf ich das verstehen?» wurde gesagt und: «Gehe ich fehl in der Annahme, daß …»

    «Sehe ich es richtig, daß Sie Ihre polizeilichen Vernehmungen demnächst vermarkten werden?»

    Es antwortete aus Sowtschick heraus, und weil das ganz mechanisch ging, war er gleichzeitig imstande, das Publikum nach ansehnlichen Menschenkindern abzusuchen. Da hinten war was, das erhob sich jetzt und langte sich einen Bildband vom Blüthner.

    Während ein Teil der Menschen aus dem Laden hinausdrängte – Bayern München gegen Real Madrid –, drängten andere mit Büchern zu ihm hin. Sowtschick nahm gegen Mundgeruch eine Pfefferminzpastille (es wäre doch schade, wenn wegen eines solchen Handikaps Leser von ihm abfielen) und signierte sie unter dem Klingeln der Kasse alle. Wiederbegegnungen gab es mit Werken seiner frühesten Zeit, und leider wurden ihm auch Taschenbücher vorgelegt, die er besonders dann recht säuerlich abzeichnete, wenn das Damen im Brilli-Alter taten, mit pfundschwerem Goldschmuck um den Hals. Was ihn freute, war, daß auch Apahasi Singh vor seinem Tisch erschien, Glut und Glanz des Ostens. Er hatte seine Freundin mitgebracht, die Sowtschick begrüßen mußte. Sowtschick wußte nicht recht, was er tun sollte – wollten die beiden am Ende gar Segen in irgendeiner Form?

    Bevor es zu Weiterem kommen konnte, wurden sie beiseite gedrängt von einem stürmischen Filmproduzenten, Goldzähne und goldene Armbanduhr, goldener Kugelschreiber, was Sowtschick ein wenig schade fand, und zwar der «Froidschiff» wegen. Aus dem Filmgespräch würde sich ja doch nichts ergeben: Das kannte man ja, zuerst feurige Begeisterung und dann plötzlich nur noch warme Luft.

    Die ansehnliche Tussi, die da drüben am Blüthner stehend in den Bildbänden blätterte – «Die letzten Panther am Owingo» – , wurde jetzt angesprochen von einem Studenten, der eine besondere Brille trug. Die würde also abschwimmen, bevor sie noch angeschwommen war, schade! Die hätte er also nicht leichthin fragen können, ob sie Lust hat, ihm in Sassenholz den Hausstand zu führen? Ein bißchen Kochen und das Telefon bedienen?

    Die meisten Leute fertigte Sowtschick flott ab. Manchmal verhielt er jedoch. Sei es, daß ein begeisterter Jüngling sich näherte oder ein kriegsbeschädigter Greis (dem er gern die Hand auf den Arm legte), reife Mütter ihre strahlenden Kinder ihm zuführten (eines wollte wissen, was er in den Ärmeltaschen seines «Camel»-Hemdes stecken hätte), oder auch Leser, die aus einer Plastiktüte alle seine Werke in zerlesenem Zustand, Taschenbuch oder Buchklub, gleichviel, herauskramten. Das waren seine Getreuesten, die er nicht enttäuschen durfte. Andere waren kürzer zu behandeln, und gerade die hatten es auf Annäherung abgesehen. Eine Dame wunderte sich, daß er so zierlich sei, und ein Herr teilte ihm mit, in der «Hetzjagd in Andante» komme dreihundertvierundzwanzigmal das Wörtchen «man» vor. Andere wollten ihm

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