Hundstage
ist, hat Zeit.
Sowtschick hatte der Unterhaltung zu lauschen, die sein Freund mit seiner Freundin über ihn hinweg anknüpfte, es ging um Ernest W. Lux, einen bekannten Architekten, bei dem sie mal eine Party zusammen besucht hatten. Dessen märchenhafte Wohnung in der Isestraße! Mit Rindsleder ausgeschlagen! Und die Möbel in den Zebrafarben Gelb und Schwarz? Jahrmarktsschaubilder an den Wänden? Sehr, sehr eindrucksvoll.
Hessenberg ließ seinen Fahrer um die Außenalster herumschleichen, sight-seeing-artig, obwohl doch alle diese Gegend kannten. Ambassadeur de Equador, angestrahlt wie eine Kirche. Immer wieder drehte Hessenberg sich nach hinten, soweit es sein Rückgrat zuließ. Daß ihm manches von dem gefallen habe, was Sowtschick gelesen hat, sagte er in die Unterhaltung der beiden anderen hinein, aber Louis-seize? Und dann erzählte er Stories aus seiner Vorkriegszeit, «fabelhaft», dieses Wort war öfter zu hören, und das Wort «gespenstisch». Als junger Mann hatte er mal von Gerhart Hauptmann ein Manuskript holen sollen, aus dem Hotel, er hatte den Dichter absolut aufgelöst vor einer Flasche Rotwein sitzen gefunden, Peeperkorn, wie er leibte und lebte, und von dem Text, den er fest versprochen hatte, stand natürlich noch kein Wort auf dem Papier.
Daß Gerhart Hauptmann und Thomas Mann sich in Zürich beinah mal getroffen hätten, beim Schneider, wurde erzählt, obwohl dies doch allen bekannt war (außer Carola Schade, die gar nichts wußte). An letzteren erinnere ihn Sowtschicks Prosa ein wenig, sagte Hessenberg, stellenweise direkt verblüffend. Andererseits aber auch federleicht, fast bis an die Grenze dessen, was man durchgehen lassen kann …
Vor der «Grotte» wurde die Gesellschaft bereits von Röwekamp erwartet, direkt zwischen zwei zur Kugel gestutzten und mit einer lila Schleife verzierten Lorbeerbäumen.
Im Inneren des mit Teppichen ausgepolsterten Lokals, voll altrosa Plüschbuchten, wurden sie vom Chef des Hauses empfangen, der in von Dornhagen den angekündigten Dichter vermutete. (Sowtschick wurde wegen des Netzhemdes und der fehlenden Krawatte mit einem strafenden Blick bedacht: Ob er hier Schmetterlinge fangen will oder wie oder was?) Links, auf einer durch neobarocke Brüstungen abgeteilten Galerie, mit Aussicht auf die Alster, in deren schwarzen Fluten sich tausend Lichter spiegelten, mit Trauerweiden und Schwänen, aber ohne gelbe Birnen, war für die Herrschaften ein Tisch reserviert und fein gedeckt, mit altrosa Kerzen und aufgestellten dunkleren Servietten.
Carola nahm ihrem Freund Alexander, um Vertrautheit zu demonstrieren, einen Fussel vom Bart. Sie hätte durch seine Affäre auch ganz schöne Schwierigkeiten gehabt, Polizei sei erschienen! «Ich denk, mich tritt ein Pferd!» Ihr Haus nicht genehmigt, und die Sache mit der Fahrerflucht und, und, und … Polizei sehen und an alle Sünden denken, das ist doch eins! Sie setzte sich neben den aufgeräumten von Dornhagen und repetierte den Film «Krieg und Frieden», von dem Engelbert wußte, daß es zwei Fassungen gibt, eine russische und eine amerikanische, und Sowtschick freute sich, daß sein Freund auflaufen würde bei dieser Dame, und zwar restlos. Einmal Streitpatience hin und zurück, mehr war bei Carola nicht drin, das wußte er nun, obwohl er es noch immer nicht glauben konnte.
«Kommen Sie doch mal vorbei!» wurde da drüben bereits gesagt, und die Adressen wurden ausgetauscht. «Mittwochs bin ich meistens da.»
Sowtschick kam neben den Anekdoten erzählenden Hessenberg zu sitzen, der sich sofort mächtig ausbreitete, die Serviette hier, das Weinglas dort: Hermann Hesse mit seinen selbstgemalten Postkarten, von denen er zwei besessen hatte, die beide in Frankfurt verbrannt waren, und die neue Hölderlin-Ausgabe von diesem Sozi da, mit sämtlichen Oden in erster, zweiter und dritter Fassung übereinandergedruckt, so daß sich niemand mehr auskennt.
Links neben Sowtschick saß die zweiunddreißigjährige Buchhändlerin mit dem clownartigen Jackett, die Pleureusen ihrer Bluse quollen daraus hervor. Es war ein samtenes Geschöpf, randlose Brille bei schwarzem Lockenhaar, die Schneidezähne übereinandergefaltet, Sowtschick freute sich über diese Nachbarschaft, bis er merkte, daß sie einen wahnsinnigen Mundgeruch ausatmete, einen Mundgeruch von kloakenartiger Intensität.
Buchhändler Röwekamp hatte einen strategisch günstig gelegenen Platz. Er saß Sowtschick gegenüber und gleichzeitig neben von
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