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Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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tänzelnd begleitete. Wenn Autos kamen, drängte Sowtschick sie ein wenig zur Straße hin, wie das wohl knackt, wenn sie überfahren wird, dafür erhielt er Boxhiebe auf den Oberarm.

    Auf vereinfachte Weise berichtete er ihr von seinen Schwierigkeiten mit dem Inder, daß er nun niemand mehr hat, der für ihn sorgt … Und Erika verstand das sogar irgendwie. «Ick kam do di!» sagte sie, und dafür wurde sie von Sowtschick herzlich gedrückt. Gleichzeitig teilte er ihr mit, daß das gar nicht nötig sei, denn er habe zwei Mädchen engagiert, was den Sozialfall nicht sehr freute.

    Im Gasthaus «Zur Linde» existierte ein Erker, den der Wirt auf Anregung Sowtschicks zu einer Dichterklause ausgestaltet hatte. Von allein wäre dieser Mann auf so etwas nicht gekommen. Sowtschick hatte ihm erzählt, daß das Dichten gar nicht so einfach sei. Man könne einen Schriftsteller mit einem Kapitän vergleichen, der müsse auch ein Allroundtyp sein. Kurshalten müsse er können, genügend Ladung haben, ausreichend Treibstoff und so weiter, und er hatte ihm für diesen Erker «einen Satz» geschenkt, also von jedem seiner Bücher ein Exemplar, einen abschließbaren Glasschrank dazu und ein gerahmtes Foto von sich, mit eigenhändiger, allmählich verblassender Unterschrift.

    «Traditionen wollen gegründet sein!» sagte Sowtschick. Im stillen sah er in diesem Erker, in dem leider auch Pokale des Fußballklubs und die Fahne des Schützenvereins untergebracht waren, dreißig Jahre später einen Kranz hängen, ihn betreffend, mit Schleife, und er hörte den Wirt seinen Gästen erklären, daß der Dichter hier auf diesem Platz gesessen habe, Tag für Tag, Abend für Abend, den heißgeliebten «Schoppen» vor sich, was absolut nicht stimmte. Nur gelegentlich saß er hier, und wenn er es tat, dann trank er höchstens mal ein Bier. Schnaps trank er selten dazu, denn der war hier von einer Sorte, wie es den nur in Sassenholz gab. Man mußte ihn runterkippen und dazu sagen: «Der hebt einem ja die Fußnägel.»

    Sowtschick schenkte der nervös tänzelnden, an ihm klettenden Erika ein Eis, jagte sie fort, setzte sich unter sein eigenes Großfoto und bestellte ein Filetsteak mit Gemüse und Kartoffeln. Er vertiefte sich in das Handbuch der Jugendszene, was ein «Wuschermann» ist und eine «Knalltüte», aber er konnte das nicht in Ruhe studieren, der Wirt mit seinen großen Füßen wollte nämlich wissen, was Gandhi mache, wie’s dem geht?

    Sowtschick begriff zuerst nicht, wer damit gemeint sei, bis ihm der Inder einfiel. Gut gehe es dem, sehr gut, der sei aber schon wieder fort, jetzt erwarte er ein ganzes Schock junger Mädchen, die ihm bei seiner schriftstellerischen Arbeit helfen wollten. Eine solche Aufklärung war nötig, um das Dorfgerede, das zweifellos entstehen würde, gleich in richtige Bahnen zu lenken. Marianne sollte nicht eines Tages beim Kaufmann Informationen bekommen, die zu Mißstimmungen führen würden! «Sowtschick hett ’n ganzen Hoopen Görls bi sick …» Der Wirt sollte Sowtschicks Version im Dorf verbreiten, und das Wort «Praktikum» konnte dabei gute Dienste leisten.

    Während Sowtschick von Fliegen umschwirrt auf sein Filetsteak wartete, die in eine Bratpfanne montierte Wanduhr zeigte bereits auf halb zwei, blätterte er im Handbuch der Jugendszene. Er entnahm dem Buch, daß er selbst ein «Hirni» sei, möglicherweise sogar ein «Geili», was ihn erheiterte. Ein «Geili»? Aufsteigende Hitze bei sich selbst würde er zu ersticken wissen. Ein «Geili» war er nicht, ein «Hirni» schon eher, oder ein «Softi». Hier fiel ihm sein Name ein: Soft-schick, so könnte man ihn lesen: Sanft und nicht ganz unflott.

    Während er darüber nachdachte, sah er draußen das Mädchen Erika auf dem Zaun sitzen. Der Hund des Wirtes begeilte sich an ihr, was sie sich, am Eise schleckend, amüsiert gefallen ließ.

    «De Düwel in den Föör un annere Vertellsel», der Schulmeister fiel Sowtschick ein. Dem würde doch wohl die Gebrechlichkeit seiner Frau ein gebieterisches Halt im Falle von Gelüsten entgegensetzen? Würde er sie aus dem Bett zerren, die Hustende und Spuckende? Der Sohn würde sich vermutlich wie Frankenstein brummend dazwischenwerfen.

    Solche Gedanken hatte Sowtschick und noch viel schlimmere! Das blutige Filetsteak, als er es schnitt, ließ ihn an das Gesäß eines Mädchens denken, und als er dann die Bissen kaute, überlegte er, welch anderen Körperteil man sich braten lassen könnte, wenn man ein

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