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Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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lief und «weglief» sozusagen, mußte Sowtschick allerhand indische Grundsatzurteile zur Kenntnis nehmen. Von der Musik ging’s wieder ins Kämpferische. Der Stärkere siegt, und wer siegt, ist Herr über die Welt, und nur wer Herr ist über die Welt, kann das Gute durchsetzen durch Tat, und nun wurde es plötzlich hochpolitisch – Hitler, nicht wahr? Dieser Mann werde in Indien als Held verehrt. Was der wohl alles durchgesetzt hätte an Segensreichem, nach einem gewonnenen Krieg!

    Durch diese Rede wurde Sowtschick in größte Konflikte gestürzt. Gern hätte er allem zugestimmt, du hast recht, und ich hab meine Ruhe, so in diesem Stil. Gegen die jetzt geäußerten Ansichten sah er sich aber doch gezwungen, Front zu machen. Alles mußte er zusammenraffen, was aufzubieten war: Millionen Tote, Terror in jeder Form … vergeblich! Der Inder lächelte höhnisch und griff Melodien auf seiner Flöte.

    Selbst der Bildband über den Zweiten Weltkrieg, den Sowtschick zur Verdeutlichung herbeiholte, machte keinen Eindruck auf den Hausgenossen. Während Sowtschick ihm schreckliche Fotos hinhielt, sah der Inder sich «Die teuflische Falle» an. Dort füllte der Mörder gerade Säure in die Badewanne, in der sich das Opfer, mit Messer und Säge zerstükkelt, auflösen sollte: typisch englische Phantasie.

    Sowtschick stand da mit seinem Bildband, ihm war es, als müsse er eine Prüfung ablegen, und er wußte, daß er diese Prüfung nicht bestehen würde. Nein, sagte der Inder, und er wies darauf hin, daß die Auflösung des britischen Kolonialreichs allein Hitler zu danken sei. Wenn Hitler (den er als preußischen Feldherrn bezeichnete) nicht gekommen wäre, dann wäre er, Apahasi Singh, jetzt in irgendein Tretrad gesperrt, zur Bewässerung der Felder, oder er müsse einer hochmütigen, nichtstuerischen Lady den Kaffee reichen.

    Spät in der Nacht, unter dem Tschingderassa von Marschplatten, trennten sich die beiden Männer, voll süßer geistiger Getränke. Sowtschick entfernte die Hundehaufen, die ihm die Tiere aus Protest wegen der Nichtbeachtung oder aus Gründen innerer Not in die Halle gesetzt hatten, und zog sich in seine Fluchtburg zurück. Er war ganz durcheinander. Den wohlwollenden Bemerkungen über den Exoten setzte er in seinem Tagebuch zunächst kritische, dann wütende Kommentare hinzu. Rein ab, rein ab bis auf den Grund! Und während ein sonderbares Rumpsen das Haus erschütterte, was von meditativen Sprüngen des jungen Mannes rührte, faßte Sowtschick den Entschluß: Diese Sache hier mußte beendet werden, und zwar schleunigst. Dieses Maß war voll. Er war nicht gesonnen, sich seine kostbaren Sommertage durch Geschwätz ruinieren zu lassen. O Gott! Wer hätte das gedacht?

    Der nächste Tag verlief recht verworren. Im Morgengrauen klingelte der Postbote. Er brachte einen Brief mit Zustellungsurkunde: Ein junger Mann wollte seine Gedichte wiederhaben, ein Manuskript, das Sowtschick längst in den Papierkorb geworfen hatte. Hier würde hinhaltender Widerstand zu leisten sein, mit Hessenberg winken, auf den abschieben die Sache, der hatte ein breites Kreuz. «Ich habe Ihre Gedichte meinem Verleger gesandt, weil ich sie für vorzüglich halte …», so in diesem Stil. Und dann: Wenn er sich aber so benehme, mit «Zustellungsurkunde» und «Rücklieferungsschein» drohe oder wie oder was, dann allerdings sehe er schwarz, dann werde er natürlich sein durchaus positives Votum sofort zurückziehen.

    Der Postbote brachte auch was für den Inder, Ansichtskarten, auf denen junge Menschen sich bei Apahasi bedankten, für die «Schloß»-Führung, wie sie schrieben.

    Mürrisch aß Sowtschick sein Frühstücksbrot, und als der Inder gegen Mittag aus dem Schwimmbad herauspatschte, unter der winzigen Schwimmhose deutlich ein riesiges Geschlecht, und sich, am ganzen Leibe tropfend, die Fotos auf dem Schreibtisch anschaute – ob dies seine Frau sei? –, sagte Sowtschick ganz ohne Einleitung: Es tue ihm leid, plötzlich habe sich da was ergeben, Bonn, die Parlamentarische Gesellschaft und danach Garmisch, ein Treffen mit Übersetzern … Leider, leider müsse die Zweisamkeit ein vorschnelles Ende finden, also heute noch, und zwar augenblicklich. Weil er, Sowtschick, wegmüsse, müsse er, Apahasi Singh, auch weg. Punkt.

    Der kampfesmutige Exote ließ das Handtuch fallen, mit dem er sich die schlanken, feinen Hände trocknete. Er war mit allem einverstanden. Sowtschick gab ihm mehr Geld, als er eigentlich vorgehabt

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