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Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Nacht saß er vorm Fernsehapparat, und zum Schlafen nahm er die Hunde mit nach oben –, stellte sich heraus, daß die Juristin bereits vergeben war. Eine Medizinstudentin stand jedoch zu Diensten. Ja, sie hätte Zeit, sagte sie am Telefon, aber da sei ein Haken. Das traue sie sich gar nicht zu sagen, Bezahlung und so weiter, davon wollte sie nicht reden, aber da sei ein Haken …

    Aha! dachte Sowtschick: Ein Macker, so einer in Jeans, mit Schlüsselbund draußen dran. Das hatte ihm noch gefehlt.

    Aber es war nicht so: Kein «Macker» mit sich abzeichnendem Geschlechtsteil in zu knapp sitzender Hose. Der Haken betraf ihre Schwester, die wär total down, heule echt den ganzen Tag. Nach Frankreich habe sie trampen wollen, und zwar nach Taizé in dies religiöse Camp, und das wär ins Wasser gefallen, weil sie sich mit Ralli, ihrem Freund, zerstritten habe. Sie könne ihre Schwester jetzt nicht allein lassen, die müsse sie mitbringen nach Sassenholz, ob das wohl ginge? Vielleicht könnte die sich ja auch ein wenig nützlich machen? Sei im Deutsch-Leistungskurs und habe möglicherweise schon was von ihm gelesen. Ohne ihre Schwester könne sie nicht kommen, das wär absolut nicht drin.

    Nun, hier zögerte Sowtschick nicht lange. «Aber natürlich bringen Sie Ihre Schwester mit!» rief er ins Telefon, «das Haus ist doch groß genug!» Und er fügte hinzu, daß man in seinem Haus eine ganze Kompanie Soldaten unterbringen könnte, was ihn sofort reute. «Kompanie Soldaten», dieser Ausdruck war doch ganz untypisch für ihn, und er konnte überhaupt nicht begreifen, warum er einen so monströsen Vergleich anstellte, wo er – gebranntes Kind scheut’s Feuer – mit Militärischem doch gar nichts am Hut hatte.

    Die Ankunft wurde etwas vage auf nachmittags «zum Kaffee» festgelegt. Sowtschick rasierte sich und wusch sich mit «Schauma Babymild» das Haar. Dann ging er im Haus umher, kämmte die Hunde und ordnete die ausgestellten Antiquitäten mal so und mal so, und während er das tat, gingen Ströme von seinen beiden Gehirnhälften aus, ein regelmäßiger Strom von Denkmolekülen wie unsichtbare Lichtstrahlen, die ihn allmählich ausleerten. Nicht eine einzelne weibliche Person würde ihm den Hausstand führen, ein Mensch, der plötzlich in Hitze verfiele, sondern zwei würden das tun. Zwei Mädchen, die vielleicht auch in Hitze verfielen, aber sich gegenseitig im Wege stünden dann. Gegen zwei würde Marianne nichts einzuwenden haben, diese Lösung war genial.

    Ob sie vielleicht riesengroß sind? dachte Sowtschick, während er im Schwimmgang auf und ab schwamm, das kühle Wasser an seine Stirn schwappen ließ, in der Hoffnung, daß die Ströme seines Gehirns aufhören würden zu fließen, Mädchen mit überlangen Gliedmaßen? Sehr große Menschen, das hatte er schon mitgekriegt, rochen oft nach Schweiß wegen der Überlastung ihrer Füße. Riesengroß oder, was schlimmer wäre: dick? Mädchen von taktlosem Leibesumfang? Mit nie gesehenen Gesäßmassen? Die Schenkel X-beinig aneinanderschrapend beim Gehen? Akne würde er aushalten können und Busenlosigkeit auch. Die Stimme des Mädchens am Telefon war sympathisch gewesen. Das stand schon mal fest.

    Ehe Sowtschick es sich versah, war er weg von Gedanken an dicke und übergroße Mädchen. An pockennarbige, busenlose Nymphen dachte er, mit denen er durchs Wasser zischen würde, von beiden pfeilschnell umspielt. Durchs Wasser zischen oder durch das Korn schweifen – die Freude über den zu erwartenden Besuch fiel breit ein in seine Seele und machte ihn heiter.

    «Kaufen wir die Katzen im Sack!» sagte Sowtschick. Notfalls würde er schon Wege finden, die beiden «Tussis» wieder loszuwerden, die Parlamentarische Gesellschaft in Bonn oder das Treffen mit den Übersetzern … Das hatte er mit dem Inder ja auch geschafft.

    Es war Mittag, Zeit, zu Tisch zu gehen. Um sich auf die Jugend vorzubereiten, suchte er in seiner Bibliothek ein Handbuch der «Szene» heraus: «Ohne Dings kein Bums» hieß es. Was die Jugend für einen tollen Wortschatz hat, stand da drin, «ächz», «stöhn» und wie bereichernd sich der auf die deutsche Sprache auswirkt.

    Er steckte das Buch ein und ging in das Gasthaus «Zur Linde», um an Stelle von gesottenen Bananenscheiben mal wieder was Herzhaftes «reinzuschmeißen» oder zu «inhalieren», wie man früher gesagt hätte.

    Unterwegs traf er Erika, den grinsenden Sozialfall, die ihn nach Art der Debilen sogleich freundlich umhalste und

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