Hundszeiten: Laura Gottbergs fünfter Fall
Radfahrer, die in einiger Entfernung herumstanden und sich leise unterhielten.
Die Kollegen von der Spurensicherung nickten ihr zu. Muss schrecklich heiß sein in diesen weißen Overalls, dachte Laura. Wieder ein Ablenkungsmanöver. Sie war froh, als sie Andreas Havel erkannte, der seine weiße Kapuze zurückschob und sich Luft zufächelte.
«Er liegt da unten», sagte er mit seinem weichen böhmischen Singsang. «Der Doktor ist bei ihm. Schau ihn dir an. Ist nicht so schlimm, er hat nicht lange im Wasser gelegen.»
«Nett, dass du das sagst.»
«Na ja, ich finde Wasserleichen auch nicht besonders angenehm. Ich denke dann immer, wie es wäre, wenn ich eines Tages so enden würde. Wie eine dieser Figuren von Botero, kennst du die? Wie aufgeblasen sehen die aus.»
«Mir ist im Moment nicht nach Scherzen.»
«Oh, entschuldige. Ich scherze nur … na ja, weil … Was soll ich denn sonst tun?»
Laura versetzte ihrem Kollegen mit der Schulter einen sanften Schubs.
«Wie alt ist er?» Wieder ein Manöver. Einkreisen des Opfers.
«Ich schätze ungefähr sechzig. Einer von der Straße. Ein Penner. Schau ihn dir an, dann kommen dir sicher ein paar Ideen.»
«Ideen?»
«Ja, Ideen. Mehr sag ich nicht. Du bist die Kommissarin, oder?»
Sechzig, dachte Laura. Wenn er sechzig ist, dann kann es nicht Ralf sein. Langsam ging sie auf die Gruppe von Kollegen zu, die sich über den leblosen Körper auf den grauen Betonplatten am Ufer beugten. Laura sah weiße halblange Haare, tätowierte Arme, ein zerschmettertes Gesicht, Hämatome auf dem nackten Brustkorb, blauschwarz, rötlich schimmernd.
Es war nicht Ralf. Das war die einzig positive Erkenntnis.
«Er ist nicht ertrunken, das können Sie unschwer selbst erkennen, nicht wahr!» Doktor Reiss richtete sich seufzend auf. «Außerdem lag er nicht länger als maximal sechs Stunden im Wasser. Schauen Sie ihn an, Laura, dann nehmen wir ihn mit. Wir sind hier eigentlich fertig.»
Laura ging um den Toten herum, die andern traten zurück. Sie betrachtete den geschundenen Körper und sah immer wieder den Frosch, sah die blauschwarz geschwollenen Lippen des Toten und die Eingeweide des Frosches. Die äußeren und inneren Bilder wechselten sich ab, als würden sie übereinandergeblendet. Sie schrieb es der Hitze zu, der stickigen flirrenden Luft über der Stadt, die selbst hier im Park das Durchatmen schwer machte.
«Das war nicht nur einer!», sagte der Gerichtsmediziner und trat neben sie. «Da waren ein paar Kerle mit kräftigen Stiefeln und Schlagringen zugange. Das sind Fälle, die mir wirklich Angst machen. Ich habe mich immer vor bestimmten Männergruppen gefürchtet. Bin ihnen stets aus dem Weg gegangen – so gut ich konnte.» Er schaute auf den Toten und verzog das Gesicht, als litte er Schmerzen. «Einer wie der hatte nicht die geringste Chance. Man kann nur hoffen, dass er besoffen war, dann hat er es nicht so mitgekriegt. Wir werden das ja bald wissen.» Scharf stieß er die Luft aus. «Übrigens sollte man sich bei diesem verdammten Wetter möglichst in geschlossenen Räumen aufhalten. Diese Luft ist der reinste Killer.»
Er konnte es nicht lassen, gesundheitliche Ratschläge zu erteilen.
«Drinnen hält man es auch nicht aus», murmelte Laura abwesend.
«Wie?»
«Ach nichts. Wurde bei dem Toten irgendwas gefunden?»
«Na, gar nichts.» Andreas Havel, der dazugekommen war, schüttelte leicht den Kopf. «Was sollte man auch finden. Er hatte wahrscheinlich nichts.»
«Nein, wahrscheinlich hatte er nichts», bestätigte der Arzt. «Können wir ihn jetzt mitnehmen?»
Laura nickte. Sie dachte an die rote und schwarze Farbe an Ralfs Anhänger und an den Wänden der Unterführung am Friedensengel, und ihr kam sein Satz über irgendwelche Säufer weiter flussaufwärts in den Sinn. Sie musste mit ihm reden. Aber damit würde auch ihre Begegnung außerhalb jeder Vergangenheit zu Ende sein. So war es eben. Ein bisschen schade, dass seine Theorie so schnell widerlegt wurde.
«Wo sind denn die Leute, die den Toten rausgefischt haben?»
«Die haben ihre Aussage den Kollegen von der Streife zu Protokoll gegeben und durften dann gehen.» Andreas Havel fuhr mit gespreizten Fingern durch sein schweißnasses Haar.
«Welchen Kollegen?»
«Denen da oben, unter dem dicken Weidenbaum.»
«Sag mal, ist das alles so zäh, oder kommt es mir nur so vor?»
Der junge Kriminaltechniker lachte auf. «Es ist so zäh, weil es so heiß ist. Da geht gar nichts schnell, Laura. Alles ist
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