Hundszeiten: Laura Gottbergs fünfter Fall
geschlafen. War nich sehr bequem. Aber da waren schlimme Kerle unterwegs.»
«Kerle?»
«Ja, Kerle. Marschierten in der Mitte der Prinzregentenstraße und kamen vom Friedensengel. Ich dachte, wenn die mich erwischen, dann schlagen die mich tot. Hätten sie vielleicht nich gemacht, aber es war so mein Gefühl. Ich verlass mich immer auf mein Gefühl. Da bin ich abgehauen, und sie haben mich nicht gesehen.»
«Meinst du, dass die deinen Anhänger angepinkelt haben?»
«Na, einer allein wird’s wohl nicht gewesen sein! Kamen mir irgendwie bekannt vor, die Typen. Könnten zu den Sängerknaben gehören, die am Deutschen Museum rumhängen. Braunes Gesindel. Dachte, die gibt’s nur im Osten!»
«Sängerknaben», murmelte Laura. «Wie kommst du denn auf so was?»
Ralf lachte bitter auf. «Na, die singen, wenn sie besoffen sind. Ich geh ab und zu vorbei und schau mir das an. Man muss aufpassen, wenn man auf der Straße lebt. Das hab ich dir doch gesagt!»
«Warum lebst du eigentlich auf der Straße?» Laura hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen.
Ralf lehnte sich zurück und wippte mit dem Stuhl.
«Das, Mädchen, geht dich gar nichts an. Möchtest wohl gern die Geschichte vom armen Ralf hören, was? Die gibt’s aber nich. Ich bin Ralf, und du bist Laura. Wir sitzen hier und frühstücken. Das ist es. Reicht doch, oder?»
Laura verzog das Gesicht, schob ihre Sonnenbrille auf die Stirn und berührte leicht ihr blaues Auge. «Dafür hätte ich aber ein bisschen mehr verdient, findest du nicht?»
Ralf schüttelte den Kopf.
«Wie du meinst. Ich muss jetzt weg. Die brauchen mich doch in der Firma. Das war der Anruf von eben. Aber ich wollt dir noch was sagen, und das ist eigentlich auch der Grund, warum ich dich heute Morgen gesucht habe.»
«Ach, gab also doch ’n Grund!» Er guckte fragend.
«Ja, es gab einen Grund. Ich habe heute Morgen im Radio gehört, dass ein toter Obdachloser aus der Isar gefischt wurde. Oben am Stauwehr. Er ist nicht ertrunken, er wurde erschlagen. Deshalb wollte ich dich warnen und außerdem nachsehen, ob alles in Ordnung ist.»
Ralf starrte sie mit halboffenem Mund an.
«Mann, Mann, Mann!», murmelte er.
«Na ja, das wär’s dann für heute. Ich muss jetzt wirklich weg.» Als Laura aufstand, fiel ihr ein, dass der Dienstwagen noch immer auf dem Bürgersteig am Friedensengel wartete, beinahe hätte sie die Straßenbahn genommen.
«Danke», sagte Ralf, als sie ihm zunickte. «Man sieht sich!»
Es klang ganz lässig, und er lüftete seinen Hut dabei. Die Federn wippten, auch die beiden abgeknickten. Laura wandte den Kopf, um ihr Lächeln zu verbergen, und eilte Richtung Max-Weber-Platz davon. Ralf bestellte sich eine große Apfelschorle, er hatte noch vier Euro und siebzig Cent in der Tasche und wollte das außerordentliche Gefühl, in einem Café zu sitzen, noch ein bisschen länger auskosten. Vielleicht könnte er seine Steine künftig am Odeonsplatz verkaufen, da war mehr los als im Tunnel. Mehr Touristen und so. Aber dann fielen ihm die Überwachungskameras wieder ein, und er verwarf diese neue Geschäftsidee. Vielleicht wäre es das Beste, die Steine und sein Werkzeug abzuholen und den Anhänger einfach stehen zu lassen.
Na ja, er hatte viel Zeit zum Nachdenken. Und der Tote in der Isar? Vielleicht wäre es sicherer, eine Weile flussaufwärts zu gehen, Richtung Flaucher oder ganz raus aus der Stadt. Aber dann würde diese Laura ihn nicht mehr finden. Wär echt schade. Und sein Anhänger wäre endgültig weg. Gestern hatte alles noch ganz anders ausgesehen.
IM PARK HINTER dem Maximilianeum versuchte Laura Kommissar Baumann zu erreichen, aber es ging nur die Mailbox dran. Sie konnte ihn ja verstehen, wollte selbst nicht ständig erreichbar sein. Trotzdem machte es sie wütend. Wahrscheinlich hatte er wieder Ärger mit irgendeiner Freundin und ließ es an ihr aus. Hin und wieder neigte er zu solchen Aktionen.
Sie steckte das Telefon in die Außentasche ihres kleinen Rucksacks. Zwischen den großen Bäumen am Hochufer der Isar konnte sie über die Stadt schauen. Wie gelblicher Nebel hing der Smog über den Häusern, reichte weit hinauf. Keine Wolke am Horizont. Nur die Sonne, verhangen, grell und bösartig.
Sie wird zur Feindin, dachte Laura. In anderen Ländern ist sie das schon lange. Langsam ging sie zwischen den Bäumen auf ihren Wagen zu. Auch der stand inzwischen in der Sonne. Sie öffnete die Beifahrertür und ließ den ersten Hitzeschwall entweichen. Aber es war
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