Hundszeiten: Laura Gottbergs fünfter Fall
Sonnenschirm vor dem Johanniscafé niedergelassen hatten. Ohne die Speisekarte zu beachten, lehnte er sich zurück und schien das Gestänge des Schirms zu studieren. Danach wanderte sein Blick zum hohen roten Turm der Johanniskirche und noch weiter hinauf in den milchig blauen Himmel. Die Kellnerin musterte Ralf abschätzig. Sie wartete und räumte ein bisschen auf dem Nebentisch herum.
«Also, ich nehm einen grünen Tee und ein Käsebrot», sagte Laura sehr deutlich.
«Und der Herr?» Die Kellnerin musterte Ralf zum zweiten Mal und ließ ihren Blick danach etwas zu lange auf Lauras blauem Auge ruhen.
«Einen Kaffee, ein Schinkenbrot und eine Nussschnecke!» Diesmal kam Ralfs Antwort wie aus der Pistole geschossen.
«Nussschnecken haben wir heute nicht, nur Rosinenschnecken, Apfelstrudel oder Käsekuchen.»
Ralf rückte seinen Strohhut zurecht und seufzte tief. «Dann eine Rosinenschnecke.»
Laura hoffte, dass er den Blick der Kellnerin nicht gesehen hatte. Sie war sicher, dass die Frau ihr Veilchen und Ralf in Zusammenhang brachte, aber in einen anderen als den tatsächlichen. Die Situation war beinahe amüsant.
«Gestern Abend hab ich am Odeonsplatz gegessen», sagte er plötzlich.
«War’s gut?»
«Chinesische Nudeln mit Gemüse und Rindfleisch. War sehr gut.»
Laura fragte nicht weiter. Sie war inzwischen sicher, dass er von selbst erzählen würde, was er wusste. Aber das Warten machte sie ungeduldig. Heimlich schaute sie auf die Uhr. Sie musste zurück ins Präsidium. Vielleicht war es doch ein Fehler gewesen, die Anonymität aufrechtzuerhalten.
Tee und Kaffee wurden gebracht, die Rosinenschnecke, die belegten Brote.
«Kann ich gleich kassieren, ich werd nachher abgelöst!» Das war ein Befehl, und Laura hatte ein gewisses Verständnis dafür. Vermutlich war die Kellnerin schon ein paarmal um die Zeche geprellt worden. Deshalb zahlte sie, ohne zu protestieren. Dann begannen sie zu essen, und Ralf schwieg noch immer. Als er – nach einem Schluck Kaffee und nachdem er sich den Mund mit dem Handrücken abgewischt hatte – gerade so aussah, als würde er etwas sagen wollen, brummte Lauras Handy.
«Entschuldige!» Schnell stand sie auf und ging ein paar Schritte. «Ja?»
«Laura?»
Es war Claudia.
«Am Apparat.»
«Kannst du nicht reden?»
«Nicht gut.»
«Ich wollte dir nur sagen, dass Peter den ganzen Tag ausfällt. Er hat irgendein Virus.»
«Ach.»
«Hab ich auch gesagt. Wann kommst du denn zurück? Becker hat schon zweimal nach dir gefragt.»
«Ungefähr in einer Stunde. Bis gleich.»
Laura kehrte zu Ralf zurück, der genüsslich seine Rosinenschnecke abrollte.
«Ich brauch kein Handy!», sagte er mit vollem Mund.
«Dein Glück.»
«Eigentlich brauch ich auch keinen Anhänger.»
«Wieso?»
«Ballast!», murmelte er. «Alles Ballast!»
«Wie man’s nimmt. Das Geschäft mit den Steinen macht dich doch unabhängig.»
«Das kann ich auch ohne Anhänger. Der is voll! Du hast ja keine Ahnung, wie voll der ist! Das Zeug kommt von überall her, und ich steck es in den Anhänger. Es wird immer mehr! Wenn man ’n Haus hat, isses wahrscheinlich genauso. Oder mit ’ner Wohnung. Wenn du mit ’nem Rucksack unterwegs bist, dann ist das eine klare Sache. Da passt nur ’ne ganz bestimmte Menge rein, und das war’s. Aber so …» Er machte eine vage Handbewegung, und auch in seinem Gesichtsausdruck lag etwas Unklares.
Er will aufgeben, dachte Laura. Das ist wahrscheinlich sein Problem. Wenn’s schwierig wird, dann gibt er auf und macht sich davon. Sie sah ihm zu, wie er sich den Zuckerguss von den Fingern leckte.
«Aber du bist doch auch stolz auf deinen Anhänger!»
«Teilweise. Besitz belastet!»
«Wieso denn plötzlich?»
Er grinste und schob seinen Hut in den Nacken. «Ganz einfach. Ich hab letzte Nacht nachgedacht, weil ich nich schlafen konnt. Und da bin ich draufgekommen. Wenn du nix hast, dann willste unbedingt was. Und wenn du was hast, dann haste Angst, dass es dir einer wegnimmt. So isses doch. Besser nix haben und nix wollen!»
«Du bist ja ein richtiger Philosoph.»
Laura ermahnte sich zur Selbstdisziplin und fragte nicht weiter. Sie spürte die Sonnenhitze auf ihrer Haut. Obwohl sie unter dem großen Schirm saß, war sie schon wieder schweißnass. Der Boden erbebte, als die Straßenbahn vorüberrumpelte.
Ich muss Ralf sagen, dass ich Polizistin bin, dachte Laura und wollte schon den Mund öffnen, als er sich räusperte.
«Letzte Nacht hab ich neben der Lukaskirche
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