Hundszeiten: Laura Gottbergs fünfter Fall
Zeugen, die irgendwas gesehen haben.»
«Ja, aber er war ein Penner. Da sind die Leute nicht so wild darauf, sich zu engagieren.»
«Kann sein. Aber ich bin wild darauf!» Laura lächelte ihm zu und verschwand in der Damentoilette. Dort streifte sie ihre nass geschwitzte Bluse ab, wusch am Waschbecken Gesicht, Arme und Oberkörper und bearbeitete ihre Achseln mit einem Deostift. Zum Glück hatte sie am Morgen ein frisches T-Shirt in ihren Rucksack gesteckt. Mit gespreizten Fingern lockerte sie ihr feuchtes Haar und betrachtete sich nachdenklich im Spiegel.
«Manchmal ganz schön heftig, was?», murmelte sie, zog ihre Lippen nach und setzte ihre Sonnenbrille wieder auf. Ja, natürlich! Wenn der Alltag ihr auf die Nerven ging, die ewig gleichen Verhaltensweisen der Kollegen, wenn sie einen dieser Anfälle von Lebenshunger hatte, die immer auch Überdruss an ihrem Leben, so, wie es war, bedeuteten. Irgendwann würde sie alles hinschmeißen und etwas völlig anderes anfangen.
Ein paarmal hatte sie schon mit dem Gedanken gespielt, zu Angelo Guerrini nach Italien zu ziehen. Es waren nur ihre Kinder, die sie davon abhielten. Aber in zwei, drei Jahren …
In zwei Jahren würde Luca Abitur machen und davonsegeln. Sofia wäre dann erst sechzehn – kein gutes Alter, um eine Tochter mit ihrem Vater allein zu lassen. Noch dazu mit Ronald und seiner Großzügigkeit, die vor allem eine Tarnung seiner Unzuverlässigkeit war. Nein, in der nahen Zukunft würde es keinen Absprung geben können. Außerdem war da noch ihr Vater. Den könnte sie allerdings mitnehmen. Der alte Gottberg hätte sicher nichts dagegen, seine späten Jahre in Italien zu verbringen, für ihn wäre es vermutlich wie eine Heimkehr ins Paradies.
Lächerliche Gedanken! Angelo Guerrini hatte sie noch nie gefragt, ob sie bei ihm bleiben wolle. Noch immer umkreisten sie sich gegenseitig, als misstrauten sie beide dem Zusammenleben. Und so war es doch auch.
Als Laura sich von Ronald getrennt hatte, stand für sie fest, dass sie nie wieder mit einem Mann zusammenleben wollte. Und jetzt? Sie wusste es nicht. Es spielte in diesem Augenblick auch keine Rolle. Sie musste einen Ersatz für Baumann finden, und sie musste zum Chef. Sie machte sich Sorgen um Ralf. Ein Besuch bei ihrem Vater stand auf dem Programm, ein Anruf bei ihrem Sohn Luca und ein weiterer Versuch, die alte Frau Neugebauer zu einem halbwegs vernünftigen Gespräch zu bewegen.
Das reichte eigentlich, um bei dieser Hitze ein bisschen «heftig» zu werden!
«Ich habe ein gewisses Verständnis für Ihren Auftritt von gestern, Laura.» Kriminaloberrat Becker hatte offensichtlich einen seiner unvorhersehbaren Anfälle von Freundlichkeit gegenüber Mitarbeitern. «Auch mir erscheint diese Anweisung vom BKA etwas übertrieben. Trotzdem müssen wir wachsam sein und den Hinweisen von Ärzten genau nachgehen.»
«Natürlich. Bei Hinweisen von Ärzten ist das durchaus sinnvoll. Aber sonst nicht!» Laura lächelte ihren Vorgesetzten ermunternd an.
«Wie schaffen Sie es eigentlich, so frisch auszusehen?», ergriff dieser sogleich die Gelegenheit, etwas zu persönlich zu werden.
«Wenn Sie’s unbedingt wissen wollen: Ich habe mich gerade auf der Toilette umgezogen. Davor sah ich etwas anders aus! Ich war nämlich im Fall des Toten aus der Isar unterwegs. Könnte sein, dass eine Gruppe von Rechtsradikalen etwas mit diesem Mord zu tun hat. Die Leute treffen sich angeblich beinahe jeden Abend am Isarufer beim Deutschen Museum.»
«Das mit dem Umziehen ist eine gute Idee. Ich werde mir morgen auch ein paar Reservehemden mitbringen.»
«Das ist sicher nicht schlecht!», nickte Laura mit einem kurzen Blick auf die enormen Schweißflecke unter Beckers Armen. «Aber um fortzufahren: Ich brauche eine Soko – keine große, aber immerhin vier oder fünf Leute. Ich möchte diese Gruppe an der Isar wenigstens zeitweise unter Beobachtung stellen. Und mein Problem ist, dass Kommissar Baumann erkrankt ist.»
«Ach, was fehlt ihm denn?»
«Irgendein Virus.»
«Ist es schlimm?»
«Ich weiß nicht, hatte noch keine Gelegenheit, mit ihm persönlich zu sprechen.»
«Aber das sollten Sie tun, Laura. Er lebt doch allein, wenn ich mich recht erinnere.»
«Ja, er lebt allein, und ich werde später bei ihm vorbeifahren, wenn Sie das beruhigt. Könnten wir trotzdem über die Arbeit sprechen?»
«Wenn Sie darauf bestehen …» Becker lachte auf etwas unangenehme Weise. «Mehr als zwei Leute kann ich Ihnen aber nicht
Weitere Kostenlose Bücher