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Hurra, wir leben noch

Hurra, wir leben noch

Titel: Hurra, wir leben noch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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Klahr auch ein Stempelkissen und den Stempel des KP -Landesverbandes Hessen dabei. Also noch achtmal ein Stempel auf acht Papiere!
    Zuletzt wurden die vier Waggons plombiert und schon am nächsten Tag an einen Interzonenzug angehängt, der nach West-Berlin fuhr. Jakob und Wenzel fuhren mit. In West-Berlin wurden die vier Waggons abgekoppelt. Eine Lok der Reichsbahn (Jakob staunte: Ausgerechnet hier, im Demokratischen Sektor, gab’s noch eine Deutsche
Reichs
bahn!) brachte sie über die Sektorengrenze auf das riesige Gelände des Güterbahnhofs zwischen Schlesischem Bahnhof und Warschauer Brücke. Daselbst verteilte Jakob an einige Herren überreichlich amerikanische Lebensmittel und Zigaretten. Die Herren ließen die vier plombierten Waggons daraufhin auf ein ganz entlegenes Nebengleis rangieren. Der Lokomotivführer und der Heizer äußerten ihre Absicht, in den Westen abzuhauen, und taten das auch zu der gleichen Zeit, da Jakob Formann, begleitet von Wenzel Prill, sich gerade im Gespräch mit dem sowjetischen Major Assimow im Hauptquartier der Sowjetischen Militäradministration in Berlin-Karlshorst befand. Ebenfalls anwesend war der Freund des hessischen KP -Häuptlings Klahr, der Chef der Abteilung Interzonenhandel in der Deutschen Verwaltung für Handel und Versorgung, Genosse Peter Hohlweg – vor vier Jährchen noch einer der gefürchtetsten Nazis in einem großen Flugzeugwerk nahe Berlin.

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    Die Anwesenheit eines Dolmetschers (in welcher Eigenschaft Wenzel mitgekommen war) erübrigte sich, denn Major Assimow sprach sehr gut deutsch. Er überreichte Jakob alle nötigen Papiere für den Empfang der Verbindungsstücke in Niesky sowie Rückfahrbefehle via Berlin-Helmstedt mit den Worten: »Ich bin glücklich, Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben, Herr Formann. Männer wie Sie und der Genosse Hohlweg zeigen deutlich, daß mit gutem Willen von beiden Seiten eine Koexistenz zwischen zwei verschiedenen Systemen durchaus möglich ist, wie es der große Genosse Stalin immer wieder betont.«
    »Und was die Amerikaner nicht glauben wollen«, antwortete Jakob und nickte betrübt.
    »Ich hoffe, wir sehen uns wieder«, sagte der Major zum Abschied.
    »Das hoffe ich auch, Genosse Major«, sagte Jakob und dachte: bloß das nicht!
    In Hohlwegs Dienstwagen fuhren sie in Richtung Stalinallee zurück.
    »Und die Waggons mit den Eiern, wo sind die?« fragte der Abteilungsleiter aus der Verwaltung für Handel und Versorgung.
    »Auf Ihrem großen Güterbahnhof da in Berlin, Herr Hohlweg«, sagte Jakob, der wieder die angenehme Wärme in sich aufsteigen fühlte wie stets, wenn er sich in Gefahr befand. »Am besten, Sie setzen sich mit der Erfassungsstelle für Eier und Eierprodukte in Verbindung.«
    »Wieso mit der Erfassungsstelle?«
    »Na, die haben wir doch benachrichtigt.«
    »Blödsinn!
Ich
habe über die Eier zu bestimmen!« schimpfte Hohlweg los. »Erfassungsstelle! Die reißen sich doch nur alles unter den Nagel! Das sind doch absolut unzuverlässige Subjekte!«
    »Entschuldigen Sie, Herr Hohlweg, aber ist das wirklich wahr?«
    »Was, was, was?«
    »Daß es bei Ihnen in wichtigen Stellungen unzuverlässige Subjekte gibt?«
    »Hrm … äh …«
    »Bitte?«
    »Sie haben mich falsch verstanden, Herr Formann! Natürlich sind hier alle Funktionäre von hervorragender Tüchtigkeit und Ehrlichkeit! Es ist nur … es gibt nur … eben weil alle so diensteifrig sind! … andauernd Mißverständnisse, verstehen Sie?«
    »Verstehe.«
    »Na, da muß ich sehen, was ich machen kann. Wir von der Deutschen Verwaltung für Handel und Versorgung müssen eben versuchen, schneller zu sein als die Erfassungsstelle! Denn die Eier gehören zu uns, nur zu uns, verstehen Sie!«
    »Ich verstehe. Und verzeihen Sie. Ich konnte nicht ahnen … Auf den Papieren des Genossen Klahr aus Frankfurt stand …«
    »Der Genosse Klahr ist ein Trott … ist völlig überarbeitet, der hat sich geirrt, der liebe Genosse Stephan, hrm!«
    Jakob war entzückt. Er warf Wenzel einen Blick zu. Der Hohlweg mit seinen Kumpanen will natürlich ein paar tausend Eier abstauben, besagte der Blick. Besagte des weiteren: Natürlich haben wir
keine
Erfassungsstelle für Eier und Eierprodukte verständigt. Das wird jetzt – toi, toi, toi! – ein wunderbares Durcheinander geben!

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    Von Berlin fuhren die beiden Freunde, in den Brieftaschen hübsche Papiere in deutscher und russischer Sprache, über Lübben und Cottbus bis Horka. Dort mußten sie umsteigen, um nach

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