Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hurra, wir leben noch

Hurra, wir leben noch

Titel: Hurra, wir leben noch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
Vom Netzwerk:
konnten einen derart schweren Insult des sowjetischen Weisesten Führers und Generalissimus schon aus Gründen des Selbsterhaltungstriebes nicht hinnehmen. Sie machten mit.
    Auf flog die Tür.
    Rotarmisten stürzten herein. Sie drängten alle anderen beiseite und nahmen sich Bohrers an, bis er bewußtlos war. Dann erschien eine Ärztin, mit ihr zwei breitschultrige Herren in weißen Pflegerjacken. Jetzt kam Bohrer wieder zu sich. Aber da hatte er schon eine Zwangsjacke an, die Enden der Ärmel waren zusammengebunden, und mit sanfter Gewalt geleiteten die beiden Pfleger den Herrn Unteroffizier a.D. Bohrer, der schon wieder brüllte, hinaus. Die Ärztin – sie war in Uniform – sprach russisch mit dem Major. Wenzel übersetzte ins Deutsche und zurück ins Russische, was Jakob gesagt hatte: »Ich fürchte sehr, die Frau Doktor hat recht. Dies ist ein gemeingefährlicher Fall von Tobsucht.«
    Die Ärztin meinte auch, sie halte das für eine schwere manische Exaltation. Sie habe die sofortige Einweisung in das nächste Lazarett veranlaßt. Draußen hörte man Bohrer noch immer brüllen.
    »Wohl ein Verlorener, sagt die Frau Doktor«, übersetzte Wenzel Prill. »Als Ärztin darf man niemals verloren sagen«, äußerte Jakob Formann. (Mariandjosef, ist die hübsch! Wenn ich jetzt Zeit hätte …) »Auch für ärgste Fälle gibt es noch Hoffnung. Wir in Westdeutschland haben erstaunliche Erfolge mit Elektroschocks erzielt.«
    Wenzel übersetzte das für alle Anwesenden ins Russische zurück, während Jakob nonchalant eine Hand in die Hosentasche steckte. Gute, alte Hasenpfote …
    Die hübsche Ärztin, so übersetzte Wenzel für Jakob, sei auch der Meinung, daß man es nur noch mit Elektroschocks versuchen könne. Jakob nickte.
    Elektroschocks … Kameraden, dachte er, Freunde, die der Hund geschunden hat, wie er mich geschunden hat, besonders du, kleiner Swoboda Karli, der du beim fröhlichen Soldatenliedergesang unter der Gasmaske – »Und nun, meine Herren, Dauerlauf marsch, marsch!« – an Herzversagen gestorben bist, und du, Tschuppek Heinrich, der du dich umgebracht hast, weil du die Quälereien von diesem Schwein nicht mehr ertragen hast, und du, Flackerl Thomas, der du abgehauen und erwischt und vor ein Kriegsgericht gekommen und erschossen worden bist wegen Fahnenflucht – euch alle, hoffe ich, habe ich gerächt.
    Und mich selber auch.
    Elektroschocks …

71
    Um 17 Uhr 45 fuhr der Zug mit den Verbindungsstücken und den Stanzmaschinen ab. Die sowjetische Begleitmannschaft grüßte den Major Kotikow, der zur Rampe gekommen war. Die milde Gabe sollte ohne Aufenthalt gen Westen gebracht werden. An der Grenze zur Amerikanischen Zone war die sowjetische Begleitmannschaft durch amerikanische zu ersetzen.
    In einem der Bremserhäuschen saßen Jakob und Wenzel, beide dick vermummelt, denn es war immer noch hübsch kalt, lange Zeit stumm dicht beieinander.
    Dann sah Wenzel auf seine Uhr.
    »Himmelherrgottnocheinmal, laß das sein!« sagte Jakob ärgerlich. »Du machst mich noch wahnsinnig mit deinem Schiß!«
    »Mensch, wir fahren über Berlin zurück! Wenn die inzwischen die vier Waggons gefunden haben, bleiben wir in Berlin! In
Ost
-Berlin!«
    »Die haben die Waggons noch nicht gefunden!«
    »Sagt wer?«
    »Ich!«
    »Sehr beruhigend.«
    »Ach, halt doch dein Maul.«
    »Was machst denn
du
für ein Gesicht? Ist dir nicht auch mies?«
    »Ja. Mächtig.«
    »Warum?«
    »Wir haben die armen Hunde doch beschissen. Es sind in jeder Kiste doch bloß achtzehn Eier, nicht dreihundertsechzig.«
    »Und deshalb ist dir mies? Versteh’ ich nicht.«
    »Es ist doch eine Sauerei, die wir da gemacht haben mit den Leuten. Aber du hast eben kein Gewissen.«
    »Und
du
hast eines, ja?«
    »Ja, leider.«
    »Darum hast
du
dir ja die ganze Geschichte ausgedacht! Das hab’ ich gern! Zuerst andere bescheißen und dann sich selber.«
    »Du sollst dein ungewaschenes Maul …«
    »Wenn die nur für fünf Groschen Verstand haben, müssen sie die Waggons schon gefun …«
    »Halt’s Maul, Wenzel, verflucht!«
    Dann blieb es wieder lange Zeit still.
    Jakob war beklommen. Wenzel war beklommen. Wenzel weniger. Der sprach endlich wieder.
    »Dieser Kerl, der uns in letzter Minute fast noch alles versaut hat, war das wirklich dein Ausbilder?«
    »Ja, war er«, sagte Jakob.
    Er fügte, in Gedanken versunken, hinzu: »Auch so einer von den Funktionären, wie du sie auf unsern Hühnerfarmen dreimal gefunden hast, Wenzel. Und auch so einer wie

Weitere Kostenlose Bücher