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Hurra, wir leben noch

Hurra, wir leben noch

Titel: Hurra, wir leben noch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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zuerst gar nicht.
    Er sagte zu seinem Begleiter: »Übersetzen Sie bitte dem Genossen Major, daß der Zug in Richtung Mücka-Hoyerswerda in einer Stunde abfahrbereit sein wird. Meine Männer haben bis an den Rand des Zusammenbruchs ge …« Den Satz sprach er nicht zu Ende, denn da hatte er Jakob erblickt. Und dieser ihn.
    Nein, also so was, dachte Jakob. Das ist ja heiter! Der Zivilist, der da vor mir steht, untersetzt, stiernackig, mit einer Totschlägerfresse im roten Gesicht – das ist doch niemand anderer als der Unteroffizier Bohrer, Adolf Bohrer, der mich bei der Ausbildung halbtot geschliffen hat, der verfluchte Hund! Durch die tiefen Pfützen auf dem Kasernenhof hat er mich robben lassen, bis ich von oben bis unten vollgesaugt war! Ein besonderer Liebhaber von ›Maskenbällen‹ war er: Hopp, hopp! In drei Minuten im Dienstanzug angetreten … Und uns dann gehetzt … Im Arbeitsanzug angetreten … weggetreten … Im Ausgehanzug mit Mantel umgeschnallt angetreten … Singen unter der Gasmaske … Mit der Zahnbürste hat er mich den Stubenboden scheuern lassen. Alles Zeug hat er aus unseren Spinden gerissen, weil sie angeblich unordentlich waren! Stundenlang hat der Schuft uns Betten bauen lassen, weil wir alles angeblich zu schlampig gemacht hatten! Mein Gott, so sehr gehofft habe ich, daß es diese Sau an der Front erwischt. Nix!
Hier
muß ich ihn wiedertreffen. Von allen Orten
hier!
Und ausgerechnet
jetzt!
    »Formann, Sie müdes Arschloch! Was tun denn Sie hier?« schrie der Unteroffizier a.D. Adolf Bohrer, indessen ihm noch mehr Blut in seinen Schweineschädel schoß.
    Jakob machte sein dümmstes Gesicht und sah den Brüllenden erstaunt an. »Was will der Mann? Warum schreit er?« fragte Major Kotikow den nervösen Wenzel auf russisch.
    »Keine Ahnung«, sagte der und fragte Jakob auf deutsch: »Was ist mit diesem Scheißer los? Was will er denn von dir?«
    »Ich habe keine Ahnung, was der will«, antwortete Jakob sanft. »Ich habe den Kerl nie im Leben gesehen.«
    »Nie im Leben gesehen?« tobte Bohrer wiederum los. »Du wirst dich gleich an mich erinnern, du traurige Vogelscheuche!«
    »Ich fürchte, es besteht Grund zur Besorgnis«, äußerte Jakob, und Mitleid trat in seine Augen. »Tck, tck, tck. Das scheint doch ein schwerer Fall zu sein. Ist er in ärztlicher Behandlung?«
    All das übersetzte Wenzel dem Major Kotikow. Der Leuteschinder a.D. Bohrer lief schwarz-weiß-rot im Gesicht an. Auf seinem Stiernacken sträubte sich jedes einzelne blonde Härchen. »Kerl, ich bringe dich vors Kriegsgericht! Das ist ein Spion, Genosse Major! Ein amerikanischer Spion! Ich kenne das Schwein! Los, los, los, übersetzen Sie, Mann!« schrie Bohrer den Feldwebel an. »Ich kenne ihn! Ich war sein Ausbilder!«
    »Wo?« fragte der russische Feldwebel irritiert.
    »In der Wehrmacht natürlich, Sie Rindvieh!« Bohrers Stimme kippte. Er keuchte.
    Der Feldwebel übersetzte. Wenzel übersetzte. Eine Übersetzung jagte die andere.
    »Schlimm, schlimm«, sagte Jakob zuletzt erschüttert (und mit dem intensiven Gefühl innerer Wärme). »Das ist ein akuter Anfall. Da muß sofort ein Arzt her.«
    Übersetzung zurück. Major Kotikow nickte erschrocken. »Gospodin Formann hat recht«, sagte er russisch, dann rief er ins Telefon: » Wache! Sanitäter! Doktor! Hier tobt einer!«
    »Du Sau!« brüllte Unteroffizier Bohrer wie von Sinnen und drang rasend vor Zorn auf Jakob ein. Der hob gelangweilt ein Knie. Bohrer rannte in dasselbe hinein. Das Knie war hart, wie Knie eben sind, und Bohrer traf sich selbst an seiner empfindlichsten Stelle. Er stieß einen ersten und gleich darauf einen zweiten Schrei aus, denn Major Kotikow hatte ebenfalls eingegriffen und Bohrer wuchtig in den Hintern getreten.
    Eine solche Attacke von hinten und von vorn erschwerte dem Unteroffizier a.D. der Deutschen Wehrmacht sel. das rasche Umkippen. Er kippte langsam, man kann sagen, er glitt zu Boden und hielt dabei die eine Hand auf das, was ihm vorne weh tat, und die andere Hand auf das, was ihm hinten weh tat. Er rollte über den Boden hin und her, und zwischen Wehlauten ließ er diese Worte vernehmen: »Spion … abknallen … Verbrecher … Mistvieh, verrecken sollst du … Genosse Stalin …«
    Als er das herausgebracht hatte, fielen sämtliche Anwesenden über den Unteroffizier a.D. Adolf Bohrer her. Schließlich hatte er den Vater aller Werktätigen aufs gröblichste beleidigt, und es waren zwei Russen im Raum. Jakob und Wenzel aber

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