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Hurra, wir leben noch

Hurra, wir leben noch

Titel: Hurra, wir leben noch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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dieser KP -Boß Klahr in Frankfurt und wie dieser Oberbonze Hohlweg in Berlin. Funktionäre gibt’s überall. Und die funktionieren immer und überall.«
    »Da hast du recht. Immer und überall. Dein Ausbilder und der Hohlweg, die beide gestern noch sich aufopfernd dem geliebten Führer Adolf gedient haben, dienen jetzt sich aufopfernd dem geliebten Führer Stalin. Unsere Funktionäre im Westen, die gestern noch dem geliebten Führer gedient haben, dienen heute opferwillig uns, die wir von der Sonne der amerikanischen Besatzungsmacht beschienen werden. Ein Funktionär sein, verstehst du, Jakob, das ist eine Lebenshaltung, die weitgehend unabhängig ist von Parteien und von Weltanschauungen.«
    »Ist schon richtig. Aber paß auf, Wenzel«, sagte Jakob, »ich war doch auch noch auf der Farm in Bayreuth und auf dem ehemaligen Himmler-Hof und hab’ mir angeschaut, wie es da zugeht und was du dort für Typen eingesetzt hast.«
    »Den Kleinhaupt und den Zerensky.« Wenzel nickte trübe. »Wir werden die nicht mehr sehen, die Herren. Wenn sie uns erst aus dem Zug holen …«
    »Du sollst die Fresse halten, Mensch! Du machst mich noch ganz verrückt mit deiner Scheißangst! Hör zu, wenn ich mit dir rede! Den Kleinhaupt und den Zerensky habe ich mir angeschaut.«
    »Ja, hast du schon mal gesagt. Und?«
    »Und dabei ist mir was Komisches aufgefallen. Der Kerl da in Frankfurt, der Hölzlwimmer, der betreibt seine Schiebungen ganz offen und ohne Geheimnistuerei. Die beiden anderen, der Zerensky und der Kleinhaupt – also so was von Getue, daß niemand wissen darf, was sie vorhaben oder wie sie die Polizei bestechen! Wieso sind diese beiden so ganz anders als dein Hölzlwimmer?«
    »Das kann ich dir erklären, Jakob«, sagte Wenzel. »Als Psychologe, nicht als Jurist! Die zwei in Bayern sind schwarz und katholisch – im Moment! Mein Hölzlwimmer, der ist gottlos und ein Roter. Auch nur im Moment natürlich!«
    »Das verstehe ich nicht.«
    »Du wirst es gleich verstehen. Schau: Schieben und raffen und bescheißen tun diese Typen alle! Egal, ob schwarz und katholisch oder gottlos und rot – und dazwischen alle Schattierungen, die du dir denken kannst. Jedoch«, sagte Wenzel bedeutungsvoll, »
ein
Unterschied besteht – wir erleben es im Winzigen, wir werden es aber auch noch im Gigantischen erleben, das prophezeie ich dir! Also: Der Unterschied, der auch dir aufgefallen ist, hat verschiedene Gründe, zum Beispiel religiöse …«
    »Ach so, du meinst also, die Katholen haben ein schlechtes Gewissen?«
    »Na klar: Die denken doch, man weiß nix Gewisses – es könnt’ ja sein, daß es doch eine Hölle gibt und ein Fegefeuer, nicht wahr … Ich möcht’ also eher sagen, sie sind tabugehemmt.«
    »Sie sind was?«
    »Der Zug!«
    »Was, der Zug?«
    »Der Zug fährt langsamer! Merkst du es nicht! Die haben uns, Jakob, die haben uns!«
    »Einen Dreck haben sie uns! Das ist eine Baustelle, kannst du das vielleicht noch sehen? Na also. Mensch, wenn du nicht endlich damit aufhörst, kriegst du ein paar gefeuert … Was heißt das, tabugehemmt?«
    »Daß ich es dir erklär’: Ein Tabu ist etwas, das nicht verletzt werden darf, grob gesprochen. Die Schwarzen machen sich – symbolisch – noch immer in die Hosen, wenn sie betrügen, warum, sie sind religiös und glauben an ihre Tabus, an den lieben Gott. Und ans Fegefeuer und an die Hölle. Deshalb tun sie es also heimlich! Da haben es die Roten leichter! Die glauben den ganzen Salami aus der Bibel von vornherein nicht, und deshalb können sie auch ohne Angst vor einer Tabuverletzung frisch, fröhlich und frei öffentlich bescheißen! Aber
tun
tun sie’s natürlich
beide!
«
    Nach einer langen Pause murmelte Jakob erschüttert: »Und ich bin um kein Haar besser. Ich habe auch beschissen! Und wie! Arme Leute, kleine Leute!«
    »Jakob, wenn
du
jetzt zu spinnen anfängst, kriegst du ein paar von mir gefeuert! Wir gehen ja schon beide auf dem Zahnfleisch!«
    So lief das weiter. Vor Berlin hielt der Zug. Wenzel sprang auf.
    »Jetzt sind wir in der Falle! Raus, ich will raus hier! Raus!«
    »Du bleibst da!«
    »Bis sie uns holen, ja? Nicht ums Verrecken!«
    »Halt’s Maul, ich flehe dich an, halt’s Maul! Mit deinem blödsinnigen Geschrei machst du ja noch die Iwans mißtrauisch!«
    »Das ist mir scheißegal, ich …« Weiter kam Wenzel nicht, denn Jakob hatte ihn mit einem gezielten Faustschlag zu Boden gestreckt. Als er wieder zu sich kam, erhielt er einen neuen Hieb.

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