Hurra, wir leben noch
vollkommen von einer weißen Masse bedeckt.
Das Haar wurde von einem Band hochgehalten.
»Um Gottes willen, Baronin, was ist geschehen?«
Unter der weißen Masse bewegte die Edle die edlen Lippen. Es war nicht zu verstehen, was sie sagte. Nur einzelne Stückchen der eingetrockneten Masse bröckelten ab und fielen auf das Kleid der Edlen, auf den Teppich. Jakob raste zu einem Tischchen.
Aufschrei, jetzt verständlich, wenn auch schwer: »Was wollen Sie tun?«
»Den Portier anrufen! Polizei muß her! Funkstreife! Wer waren die Verbrecher? Wie sind sie hereingekommen? Was haben sie geklaut?«
»Nicht!«
»Was nicht?«
»Sie werden nicht telefonieren!« Noch mehr Bröckchen …
»Warum nicht?«
»Weil es keine Einbrecher waren.« Die Edle sprach so vorsichtig, wie es ging. Es ging nicht genügend. Bröckchen, Bröckchen …
»Keine Ein … Wer denn, Baronin?«
»Meine Nichte Claudia.«
»Das elende Biest! Die fliegt aber jetzt! Erlauben Sie, daß ich …«
»Nein!« Das war ein Donnerwort. Voller Würde und Haltung. Edel eben. Mit Bröckchen …
»Was nein?«
»Rühren Sie mich nicht an!« Der edle Mund war jetzt frei, die Edle konnte besser (und verständlicher) sprechen. »Das ist eine Schönheitsmaske, Herr Formann. Man darf das Gesicht nicht bewegen, wenn man eine aufgelegt bekommt. Ich habe meine von Claudia aufgelegt bekommen.«
Das ist vielleicht eine Nacht …
»Hören Sie, kann es sein, daß Sie … äh … verrückt geworden sind, Baronin? Ich meine, ein Nervenarzt ist gleich da, wenn ich … Manchmal ist da höchste Eile geboten …« (Wie vorhin bei mir.)
»Schweigen Sie, Herr Formann! Was verstehen Sie davon! Ich bin vollkommen normal! Das ist meine Strafe! Ich habe Strafe verdient, um eine selbe solche gebeten und eine selbe solche bekommen!«
»Von dieser Claudia?«
»Für Sie immer noch Mademoiselle la Comtesse!«
»Das war Clau … Mademoiselle la Comtesse, die Sie hier festgebunden und eingepappt hat?«
»Ja doch!« Das Kleid der Edlen, der Teppich um sie herum, ihr Schoß waren jetzt schon weiß. Die Maske hatte Risse bekommen.
»Wann?«
»Gleich nachdem wir auseinandergingen …«
»Aber warum?«
»Sie sagte, ich hätte den Maître d’Hôtel verlangend angesehen.«
»Sie hätten den …« Jakob stand mit offenem Mund und einem unsagbar blöden Gesichtsausdruck da.
»Ja, ja, ja! Und es stimmt auch! Aber nur einen Moment! Einen winzigen Moment! Doch Claudia hat es gesehen. Sie sieht alles. Immer. Und dann bestraft sie mich. Mit Recht. Ich verdiene es nicht anders.« Die edlen Augen hielt die Edle immer weiter geschlossen. Da herum war die Schönheitsmaske auch noch einigermaßen in Ordnung. Aber sonst. Eine Sauerei …!
»Immer … so … bestraft … sie … Sie?«
»Wo denken Sie hin? Sie tut es ganz verschieden.«
Na, jedenfalls nicht im Salon oder dort, wo auch ich hinkomme, dachte Jakob. Sonst wären wir einander nachts wohl schon häufiger begegnet.
»Diesmal war sie besonders einfallsreich.«
»Warum?«
»Weil sie mich im Salon gefesselt hat – und mir die Schönheitsmaske gemacht hat. Damit ich noch mehr leide und büße. Damit ich davor zittere und bebe, daß
Sie
mich sehen könnten! Dabei, ich weiß es, hätte sie mich natürlich rechtzeitig losgebunden – vor dem Frühstück.«
»Natürlich. Nur manchmal machen Sie’s auch anders … Wie denn anders, Baronin?«
»Herr Formann, Sie sind widerwärtig obszön! Und überhaupt …« Die Edle empörte sich. »Was suchen Sie zu dieser Zeit im Salon?«
»Ich war … ich bin … nämlich …«
»Antwort!«
Jakob stotterte empört: »Ich habe … ich war … ich bin noch mal weggegangen.«
»Lügen Sie nicht so unverschämt! Ich sitze hier seit Stunden! Wann sind Sie weggegangen?«
»Auch vor Stunden!«
»Wer hat Ihnen das gestattet, Herr Formann? Wo haben Sie sich herumgetrieben? Wenn man einen einzigen Moment nicht auf Sie achtgibt … In welchen Kaschemmen, bei welchen schlechten Mädchen waren Sie? Antwort!«
Ich wüßte schon eine Antwort, dachte Jakob, aber ich darf ja nicht. Ich brauche die Edle – welch grandiose Haltung die Person hat, selbst in dieser Situation! –, ich brauche die Edle doch wie einen Bissen Brot! Wo ich hinkomme, quatschen sie jetzt gerade kariert über Existentialismus. Ich weiß nicht mal, wie man das schreibt. Begreife kein Wort. Ab morgen haben wir Sartre auf dem Stundenplan. Also sagte Jakob mühsam beherrscht: »Es tut mir leid, Baronin,
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