Hurra, wir leben noch
verletzt … alle beide … Der ›White trash‹ hat sie zuerst überfallen …«
Meine Leibwächter im Krankenhaus. Ich habe doch gleich gesagt, ich brauche keine.
O Jesus, Jesus, Jesus.
Die Sirene des Armeelasters heulte.
50
»Ich weiß, wie erregt ihr seid und wie müde wir sind und wie sehr unsere Empörung brennt. Aber wir müssen den Negern von Birmingham verständlich machen, daß Gewalt nicht unser Weg ist …« Die Stimme klang aus einem Radio in Jakobs Hotelzimmer. Er lag mit einem Kopfverband auf dem Bett und starrte die Decke an. Es war dunkel geworden. Von draußen leuchtete noch das düstere Rot einzelner Brände, doch auf der Straße war es still. Armee, Nationalgarde und Polizei hatten den Terror der Weißen und den dadurch ausgelösten Aufstand der Neger gebrochen. Ruhe herrschte in Birmingham. Friedhofsruhe.
Der herrische Ton des Sprechers – es war Dr. Martin Luther King, Jakob wußte es – wich jetzt dem feierlichen Singsang des Südstaaten-Prediger-Englisch: »Ihr werdet sehen die rassisch integrierten Lokale und Imbißstuben. Ihr werdet sehen die integrierten Warteräume der Geschäfte. Ihr werdet Neger sehen, die Positionen bekleiden wie nie zuvor. Ihr werdet sehen, daß der Neger in dieser Gemeinschaft als Mensch integriert ist. In fünf Jahren wird Birmingham auf dem Gebiet der Rassenpolitik eine der schönsten Städte des Südens sein!« psalmodierte Dr. Martin Luther Kings Stimme, die Stimme dieses Negerführers und Theologen, der in fünf Jahren den Friedensnobelpreis erhalten und in acht Jahren ermordet werden sollte – von Weißen, am 4. April 1968. Dieser Mann, der für einen Sieg durch Gewaltlosigkeit kämpfte wie Gandhi, brachte die Masse der Schwarzen wieder zur Ruhe. Wie in Trance, gebannt durch die Weissagungen ihres Apostels, lauschten sie nun einer anderen Stimme – der von Ralph Abernathy, einem Mitarbeiter Kings, der die Neger von Birmingham zu Gehorsam gegenüber ihrem Apostel verpflichtete.
Aus dem Radio hörte Jakob, auf dem Bett liegend, die Decke anstarrend, Abernathys Stimme: »Nicht jeder kann Führer sein!«
Ein Chor von vielen tausend Stimmen antwortete: »Nein! Nein!«
»Doktor Martin Luther King ist unser Führer, und was fordert er von uns?«
Wieder die vielen tausend Stimmen im Chor: »Übe keine Gewaltsamkeit!«
Jemand klopfte laut gegen Jakobs Zimmertür.
»Übe keine Gewaltsamkeit!«
Das Klopfen wurde hektisch. Jemand trommelte mit beiden Fäusten gegen die Tür.
»Übe keine Gewaltsamkeit!«
Der Singsang aus dem Radio war so laut, daß Jakob nicht verstand, was der Mann auf dem Gang draußen schrie. Nun trat er mit den Schuhen gegen die Tür. Das war der Moment, in welchem Jakob jede Besinnung, jede Beherrschung verlor. Rasend vor Empörung sprang er auf, torkelte durch das dunkle Zimmer. Genug, genug, genug, dröhnte das Blut in seinem Schädel. Das ist zuviel, zuviel, zuviel! Jakob erreichte die Tür. Der Mann draußen brüllte wie ein Verrückter. Jakob verstand kein Wort. Er sperrte die Tür auf. Er riß sie zurück. Im Gang brannte elektrisches Licht. Ein Mann stand da, hob eine Hand …
… und Jakob schlug ihm die Faust mit solcher Gewalt ins Gesicht, daß der Mann lautlos nach hinten stürzte und sich überschlug. Jakob fiel über ihn. Der Mann lag reglos auf dem Bauch. Das Schwein, das Schwein, das gottverfluchte Schwein, hämmerte es in Jakobs Schädel. Er keuchte. Er ließ sich zur Seite rollen. Er erhob sich halb. Laß mich dein Schweinegesicht sehen, du Schwein!
Er drehte den Bewußtlosen auf den Rücken.
Er sah in das Gesicht seines Freundes George Misaras.
1957 – 1965 – Die Welt wandelt sich schnell – aber schöner wird sie nicht.
Einberufen vom großen Papst Johannes XXIII . († 3. Juni 1963), tagt von 1962 bis 1965 das Zweite Vatikanische Konzil. Die Kirche stellt sich der Zeit. Aber die Enzyklika Pauls VI . »Humanae vitae« von 1968, vorwiegend gegen die Geburtenkontrolle und die (in der BR seit 1962 gebrauchte Antibaby-)»Pille«, zeigt, daß das nicht so einfach ist. -1957 wird die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft ( EWG ) und die Europäische Atomgemeinschaft ( AEG ) gegründet. Das Saarland kommt zur BR , in der es weniger als 100 000 Arbeitslose gibt und die Frauen den Männern gleichberechtigt werden. In Berlin wird Willy Brandt Regierender Bürgermeister, und Mao läßt »tausend Blumen blühen«, während in östlichen und westlichen Tiefbunkern Interkontinentalraketen mit
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