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Hurra, wir leben noch

Hurra, wir leben noch

Titel: Hurra, wir leben noch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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ist auch darunter … Der Ku-Klux-Klan hat angefangen … Überfälle … Bomben … Häuser wurden angezündet … Neger umgebracht …«
    »Mein Gott!«
    »Daraufhin haben sich die Schwarzen gewehrt. Schlugen die Weißen zusammen … Selbst Luther King konnte sie nicht mehr beruhigen … Sie haben keine Ahnung, was da los ist in Birmingham … Der Präsident hat dreitausend Mann von der Zweiten Infanteriedivision einfliegen lassen …«
    »Herrgott, und Jesus?«
    »Ihr Freund Jesus hat Tuscaloosa verlassen und ist nach Birmingham gefahren, um mit seinen Freunden zu kämpfen. Er ist verhaftet worden, wie gesagt. Aber jetzt beherrscht der weiße Mob wieder die Stadt … Versucht, das große Gefängnis zu stürmen und die Neger rauszuholen.«
    »Ich komme sofort!«
    »Aber über Washington! Landen! Zwei Leibwächter steigen ins Flugzeug und fliegen mit Ihnen weiter!«
    »Ich brauche keine Leibwächter!«
    »Sie müssen welche haben! Befehl des Präsidenten! Sonst bekommen Sie nirgends Landeerlaubnis. Sie müssen die zwei Leibwächter mitnehmen, haben Sie verstanden? Das ist ein Befehl!«

48
    »Kill them! Kill them!«
    Der Schrei des rasenden Mobs von Birmingham drang bis in die weißgekachelte, nach Lysol stinkende Leichenhalle der Stadt.
    »Schlagt sie tot! Schlagt sie tot!«
    Jakob stand mit herabhängenden Armen neben einem Angestellten der Morgue. Die Narbe an seiner Schläfe zuckte ununterbrochen. Draußen krachten Bomben, heulten Sirenen vorbeirasender Polizeiwagen, ertönte das irre Gekreische einer entfesselten Menge, Pfiffe, Schreie, Flüche …
    »Kill them! Kill them!«
    Der Angestellte, ein kleiner Mann in weißem Mantel, mit dicker Brille, schwitzte vor Angst, obwohl es kalt war in der Leichenhalle. Unter seinen Augen lagen schwarze Ringe. Er hatte auf Jakobs Geheiß aus einer großen Wand eine Bahre herausgerollt. Die Bahre war zuvor hinter einer weißgestrichenen, versperrten Eisentür verborgen gewesen. Erst nachdem der Polizeichef von Birmingham auf Jakobs zornige Drohungen am Telefon dem kleinen Mann befohlen hatte, Mister Formann in die Leichenhalle zu führen, waren sie beide in den Keller hinuntergestiegen, in welchem Neonröhren ein scheußlich kaltes Licht verbreiteten. Dort hatte der kleine Mann, vor sich hinmurmelnd (Gebete? Flüche?) eine der Eisentüren in der großen Wand aufgesperrt und die Bahre herausgerollt.
    »Er … er … er sieht aber furchtbar aus, Sir … Sie werden den Anblick nicht ertragen … Er ist doch … Er ist doch buchstäblich erschlagen worden!« Jakob würgte. Jakob sagte, den Blick auf das weiße Tuch gerichtet, das die Last der Bahre verdeckte: »Nehmen Sie das Tuch zurück.«
    »Wirklich, Sir, ich bitte Sie …«
    »Sie sollen das Tuch zurückschlagen!«
    Der kleine Mann hatte murmelnd und schwitzend das Tuch angehoben. So stand er nun da, zitternd und bebend, und wartete offensichtlich darauf, daß dieser fremde Mann ihm sagte, er solle das Tuch endlich wieder senken und die Bahre zurückrollen. Doch Jakob Formann sagte das nicht. Jakob Formann stand reglos da und sah auf den blutigen Haufen Fleisch, der einmal ein Mensch, der einmal Jesus Washington Meyer, der einmal sein Freund gewesen war.
    »Totschlagen! Totschlagen!« kreischten draußen Stimmen. Motoren heulten, Stiefel trampelten.
    Jakob fühlte, wie ihm Tränen aus den Augen schossen, über die Wangen liefen, auf den Anzug tropften. Er fühlte sich zum Sterben elend. Er hatte Angst, umzukippen. Er hielt sich an dem Eisenrahmen der Bahre fest.
    Jesus …
    Mein Kamerad.
    Mein Freund.
    Mein alter, guter Freund.
    Ich kann dich nicht mehr erkennen. Ich kann dein Gesicht nicht mehr sehen, denn du hast kein Gesicht mehr, keine Augen, keinen Mund, keine Nase. Sie haben dir den Schädel eingeschlagen, die weißen Hunde …
    »Schlagt sie tot! Schlagt sie tot!«
    Das Gebrüll hörte nicht auf. Eine besonders heftige Explosion erschütterte die Morgue. Der Boden schwankte leicht.
    »Wie ist das passiert?« fragte Jakob. Jedes Wort bereitete ihm Qual. »Sie haben die Schwarzen aus dem Gefängnis geholt … nicht alle … nur etwa fünfzig … Dann kämpften sich die Soldaten durch und schlugen die Lumpen nieder oder nahmen sie fest …« Der kleine Mann sprach stockend und langsam. »Aber für viele von denen, die sie vorher herausgeholt hatten, war es zu spät … Sie haben sie vor dem Gefängnis niedergeschlagen … Mit Fahrradketten. Mit Eisenstangen. Mit Hämmern … Vor dem Gefängnis

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