Hurra, wir leben noch
Verzeihung. Vergeben Sie ihm, wenn Sie können. Und möge auch der Allmächtige ihm vergeben.« Das Reserl erhob sich und nahm eine Hand des Violetten. »Ich führe Sie zum Hubschrauber, Hochwür …«
Aus. Alles aus, dachte Jakob wieder einmal, und spürte angenehme Wärme in sich aufsteigen.
Dann erlebte er eine Überraschung.
Der Violette strich sanft über die Hand der frommen Ex-Stripperin, indessen die fünfzehn ›Crazy Horse‹-Girls in einer Reihe, Unterleib vorgestemmt, über die Podiumsfläche auf das Publikum zumarschiert kamen. »Nicht doch, liebe Tochter«, sagte der Violette, sich behaglich in seinen Sessel zurücklehnend. (Schmatzte der? grübelte Jakob fasziniert.) »Setzen Sie sich wieder. Das ist wirklich eine gelungene Überraschung, lieber Sohn.« Und er tätschelte Jakobs Hand. »Sie haben ein großes Herz! Die Villa auf dem Pincio wird Ihnen gefallen. Und was soll Ihre Erregung, liebe Tochter? Dem Reinen ist alles rein!«
29
Eine halbe Stunde später, nachdem die ›Crazy Horse‹-Girls unter dem donnernden Applaus aller Anwesenden (auch des Violetten) in der Tiefe versunken waren, begann dann das Feuerwerk.
Es wurde das größte Feuerwerk, das es jemals an der Côte d’Azur gegeben hatte. Die Raketen wurden abgeschossen von kleinen Spezialschiffen, die auf dem Meer vor dem Hafen lagen. Der Anblick war überwältigend, und die ›Aaaahhhs!‹ und ›Ooooohhhs!‹ der Gäste fanden kein Ende. Immer neue Feuerbilder zauberten die Pyrotechniker an den blauschwarzen Himmel.
In einem Gebüsch, nahe der Putte, war Klaus Mario Schreiber beim wechselnden Schein der Leuchtfarben sehr glücklich mit Claudia Contessa della Cattacasa, und sie war es mit ihm. So einen Mann, sagte sie, habe sie noch nie erlebt. Sie war nun wieder Männern zugetan. Und dieser Schreiber, der war, wenn man wollte, sofort auch eine süße kleine Lesbierin!
Und Orchideen an den Himmel gezaubert! Und Blumenarrangements! Und Sternenregen! Und Feuergarben! Und pfeifende Lichtpunkte, die hoch, hoch oben explodierten und riesige farbige Leuchtpunktgebilde schufen, welche langsam ins Meer rieselten. Und …
Eine Hand legte sich auf Jakobs Schulter.
Verärgert fuhr er herum.
Einer der Maîtres de Maison stand hinter ihm, neigte sich – das Feuerwerk machte gerade einen Riesenkrach – dicht an Jakobs Ohr und schrie: »Ich bitte um Verzeihung, Monsieur Formann, Sie werden ganz dringend am Telefon verlangt!«
Automatisch betrachtete Jakob sein Hosentürl. Er hatte da so seine Erinnerungen. Und wenn ihn nun jemand hereinlegen wollte …
Nein, alles in Ordnung mit dem Hosentürl.
»Wer will mich sprechen?«
»Eine Madame Herta Jaschke aus Murnau, Monsieur …«
Jakob fuhr auf und raste, ohne sich bei seinem illustren violetten Nachbarn zu entschuldigen, ins Haus.
Jaschke! Jaschke! Die Herta ist dem Jaschke seine Frau! Was ist passiert, um Himmels willen?
Er erreichte einen Salon, sah dort einen Hörer neben dem Telefon liegen und riß ihn ans Ohr.
»Hier Jakob! Was ist los, Herta?«
Durch ein Fenster sah er das Feuerwerk. Grün. Blau. Rot.
Eine schluchzende Stimme ertönte: »Gott sei Dank, daß ich dich erreiche, Jakob! Sie haben es in den Abendnachrichten im Fernsehen durchgegeben …«
»Was? Was haben sie durchgegeben?« Und Gold. Und Silber. Und Weiß.
»In Karania ist die Regierung des Präsidenten Ora N’Bomba gestürzt worden! Von Aufständischen! N’Bomba haben sie sofort erschossen! Es hat viele Tote gegeben! Und alle Ausländer im Land sind verhaftet worden! Verhaftet, Jakob!«
»Verhaftet, Herta.« Und Purpurn und Violett und Honigfarben.
»Mein Gott, Jakob, der Karl ist doch da unten wegen der Fertigbauhäuser! Den haben sie jetzt auch eingelocht! Sie wollen Geiseln, haben sie gesagt! Wenn dem Karl was zustößt!«
Jakob dachte: Da wollten wir also einmal ordentlich unseren Rebbach machen mit den Negern und sie aufs Kreuz legen, und jetzt haben sie den armen Karl eingesperrt. Hoffentlich lebt er noch. Herrgott, ist das eine Sauerei! »Sofort kümmere ich mich darum, Herta!« sagte Jakob.
Und Rot! Und Grün! Und Gold! Und Weiß!
Also auf nach Karania!
Nicht einen einzigen Abend lang hat man Ruhe …
30
»Also, ich kann dir nur sagen, die Edle, die du mir da vor Jahren angehängt hast, die hat nicht die geringste Ahnung von Literatur gehabt«, erklärte Jakob Formann seinem Freund Karl Jaschke in der Nacht vom 3. zum 4. August 1962, tief in Schwarzafrika und daselbst irgendwo in der
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