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Hurra, wir leben noch

Hurra, wir leben noch

Titel: Hurra, wir leben noch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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meine Häuser unter den Nagel gerissen hat!
    Natascha und Misaras vernahmen voller Gram, was sich ereignet hatte. »Na ja«, sagte Jakob, »was soll man machen? Pack deine Sachen, Schatz!« Zu seiner Überraschung wollte Natascha ihre Sachen nicht packen.
    »Aber warum nicht, Liebste? Du fliegst doch sonst immer mit mir überallhin! Warum nicht diesmal?«
    »Mein Gott, Jake, ich würde ja so gerne mit dir fliegen, aber gerade jetzt, morgen, beginnt hier in Los Angeles dieses große Festival.«
    »Was für ein Festival?«
    »Das Mozart-Festival, Liebster. Mit den berühmtesten Sängern und Solisten!« erwiderte Natascha. »Es dauert zwei Wochen. Im Music Center of Los Angeles. Konzerte und Opern und alles – und, bitte sieh das ein: Meinen Mozart lasse ich mir nicht nehmen!«

46
    Einskommafünf Millionen Menschen lebten zu diesem Zeitpunkt in Saigon, der Hauptstadt von Südvietnam, am rechten Ufer des Saigon-Flusses. Obwohl achtzig Kilometer vom Meer entfernt, besaß die Stadt einen Seehafen und war Standort großer Industrien. Am Flußufer befand sich das Geschäftsviertel, auf Schwemmlandterrassen lag das Regierungsviertel. Da ein öffentliches Verkehrsnetz in der Stadt fehlte, waren mehrere hunderttausend Motorroller in Betrieb.
    Das alles und noch viel mehr wußte Jakob Formann bereits, noch bevor er einen Fuß auf vietnamesische Erde gesetzt hatte.
    Nach Saigon flog er – wozu die guten Stücke gefährden? – einmal nicht mit einer seiner eigenen Maschinen, sondern mit einem Transporter der amerikanischen Luftwaffe. In diesem saß ein außerordentlich geschwätziger Oberst neben ihm, der stolz war auf seine intime Kenntnis Vietnams. Außerdem gab es noch einen Reiseführer … Jakobs Transporter landete auf dem Flugplatz von Than Son Nhut. Er fand es nicht gemütlich hier. Massenhaft waren da Düsenjäger geparkt, Hubschrauber mit Bordkanonen, Tieflader mit Napalm-Bomben. Alle Soldaten hatten traurige Gesichter. (Die armen Schweine, dachte Jakob, in Erinnerung an eigenes Erleben versunken.) Auf der Straße, die in die Stadt führte, gab es immer wieder Stacheldrahtsperren, Sandsackbarrikaden und Wachttürme. Auf ihnen sah Jakob Soldaten, Gewehr im Anschlag. Nein, dachte er, wir Menschen haben nichts dazugelernt seit 1945. Wahrscheinlich sind wir unbelehrbar.
    In der City rasten Jeeps mit schwerbewaffneten Soldaten umher, LKW s mit kleinen Kanonen. Lastzüge voll Munitionskästen. Dazwischen glitten leichte Rikschas, eilten Wasserverkäuferinnen, die ihre Ware wie auf Waagschalen an einer Bambusstange hielten, fuhren Motorräder und Fahrräder, Taxis und Motorroller. Es war ein Chaos ohnegleichen.
    Soldaten sah Jakob, Zivilisten, buddhistische Mönche, zierliche kleine Frauen mit langen Gewändern, langgeschlitzten Röcken und aufgestecktem Haar, schmutzige Kinder, die auf der Erde hockten, einen Holzblock vor sich, und Soldaten, Amerikanern und Vietnamesen sowie vornehm gekleideten Herren aus Europa die Schuhe putzten. Das alles sah Jakob … Er hatte draußen am Flughafen ein Taxi erobert. Sein Freund, der Senator, war der Ansicht gewesen, Jakob solle im Hotel METROPOL wohnen. Also hatte Jakob dort ein Zimmer bestellt. Nach dem langen Flug wollte er erst einmal baden und schlafen, bevor er sich auf die Suche nach den verschwundenen Fertighäusern machte.
    Das Taxi erreichte das Hotel. Kinder prügelten sich darum, Jakobs Koffer tragen zu dürfen. Er bezahlte den Fahrer und drehte sich dann um, in der Absicht, das Hotel zu betreten. Dabei stieß er heftig mit einem amerikanischen Offizier zusammen, der aus dem Hotel herauskam.
    »Entschuldigen Sie, Lieutenant-Colonel«, sagte Jakob höflich.
    Der Lieutenant-Colonel stierte ihn mit hervorquellenden Augen an, rang nach Luft und stammelte: »Gott der Gerechte, Jake, alter Junge, was machst denn du hier?«
    »Mojshe …«, stammelte Jakob fassungslos. Vor ihm stand – ein Irrtum war unmöglich! – tatsächlich jener Mojshe Faynberg, ehemals bei der Military Police in Wien und sodann beim Fliegerhorst Hörsching nahe Linz, Austria – der Gefreite, der damals so dick und rothaarig gewesen war, jener Sohn eines armen jüdischen Flickschusters aus New York Bronx. Dieser Sohn war noch immer dick, aber sein rotes Haar leuchtete graumeliert (was sehr merkwürdig aussah), und er war nicht mehr Gefreiter, sondern wirklich und wahrhaftig – Jakob kannte schließlich die Uniform noch – ein Lieutenant-Colonel!
    »Jake!« schrie Oberstleutnant Mojshe nun, so

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