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Hurra, wir leben noch

Hurra, wir leben noch

Titel: Hurra, wir leben noch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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abhängig vom Nahost-Öl, daß die Araber praktisch mit uns machen können, was sie wollen: die Preise und die Mengen für Öl diktieren – oder es uns überhaupt sperren. Erhöhte Preise genügen bereits. Denn dadurch werden wir mit unseren Produkten saftig teurer werden müssen! Und die Menschen haben Angst um ihr Geld! Sie kaufen weniger und weniger! Ich sage ja, haufenweise storniert sind unsere Aufträge – besonders in der Plastikfabrikation. Weil sie, zum Beispiel, die Autoproduktion eingeschränkt haben, da es nicht genug Benzin zum Fahren gibt. Also brauchen sie auch keine Kunststoffkarosserien oder was immer noch wir an Plastikzeug für ein Auto liefern. Weil es so wenig Öl gibt, ziehen andere ihre bereits erteilten Aufträge für Plastikrohrleitungen zurück – was soll durch die fließen? Das ist ein Teufelskreis. Weniger Aufträge, also weniger Geld. Also haben die Banken Angst um ihre Kredite. Weniger Aufträge, also weniger Arbeit. Also Kurzarbeit oder Entlassungen. Also Arbeitslosigkeit. Also Streiks. Also politische Unruhen. Das internationale Währungsgefüge wird durcheinandergeraten. Der Dollar ist schon runtergesaust. Mit unserer Mark werden wir dauernd andere Währungen stützen müssen! Ich sage euch, wir rodeln mitten in die dickste Scheiße hinein!«
    »Du meinst also wirklich …«, murmelte Jakob nach einer langen Stille dumpf.
    »Und ob, meine ich wirklich …« Wenzel rang nach Luft. »Ihr habt weiß Gott was gemacht in der letzten Zeit …«
    »Erlaube mal, wir haben gearbeitet wie immer!« (Jaschke).
    »Aber nicht wie Misaras drüben in Los Angeles! Nicht wie die in Tokio und Rom und Buenos Aires und Stockholm! Nicht wie ich, der ich versucht habe – sechzehn, achtzehn Stunden am Tag –, diese Lawine, die da auf uns zukommt, aufzuhalten – vergebens! Wie oft habe ich mit Experten gesprochen! Sie alle haben dasselbe gesagt: Bis neue Energieträger das arabische Ölmonopol brechen könnten, müßten mindestens fünfzehn Jahre vergehen.«
    »Wieviel Jahre?« erkundigte sich Jakob, während seine Schläfennarbe zuckte wie verrückt. Pfote, Pfote, warum hilfst du nicht?
    »Du hast schon richtig gehört«, sagte Wenzel. »Und mir san mit’m Radl da.«
    Aber Jakob hatte sein Selbstvertrauen bereits wiedergefunden. Sie funktionierte also doch noch immer, die gute alte Hasenpfote. Er stand auf.
    »Wo willst du hin?« fragte Wenzel.
    »Losfliegen, sofort!«
    »Wohin?«
    »In die ganze Welt«, sagte Jakob. »Überall dorthin, wo meine Fabriken stehen. Mir scheint, jetzt geht’s wirklich um die Wurscht!« Und ohne ein weiteres Wort verließ er grußlos die Halle.
    Die beiden Freunde starrten die Tür an, hinter der Jakob verschwunden war.
    Dann fand der Karl Jaschke es an der Zeit, seinen Lieblingsausspruch in Zeiten schwerer Bedrängnis auszusprechen, laut und deutlich. Er sagte erschüttert: »Verflucht, sprach Max und schiß sich in die Hose.«

59
    Das erste Mal fuhr Jakob noch im Rolls-Royce und ungemein seriös gekleidet vom DOM-HOTEL in Köln zum CWWDWW . Das war am 18. Juni 1975, und Jakob hatte 282 451 Flugkilometer sowie an die sechzehn Monate der schwersten Schufterei seines Lebens hinter sich. Er war nicht mehr zur Ruhe gekommen seit jenem Gespräch mit Wenzel, das ihn im Januar 1974 aus seinen friedlichen Ferien gerissen hatte.
    Wie ein Irrer war er um den Erdball gejagt, um sein selbstgeschaffenes Werk zu retten – denn leider hatten die Befürchtungen Wenzels sich bewahrheitet. Die Ölkrise war zur Weltkrise geworden, und sie hatte auch Jakobs Imperium nicht verschont. Sein Haar war in dieser Zeit vollkommen grau geworden, die Glatze doppelt so groß – aber damit hatte es sich auch. Ungebrochen wie eh und je waren Jakobs Optimismus, Jakobs Leistungsfähigkeit, Jakobs Unternehmergeist und Jakobs Chuzpe. Sein Lieblingsausspruch bei jeder sich bietenden Gelegenheit: »Noch hängt die Hose nicht am Kronleuchter!«
    Otto fuhr schweigend südwärts, in Richtung der Kirche Sankt Severin. Dort, in einer vornehmen Straße, lagen die Räume des CWWDWW.
    Jakob sah aus dem Fenster, lächelte, pfiff sich eins und drückte vorsichtshalber die Hasenpfote.
    »Was heißt das eigentlich, CWWDWW , Jakob?« fragte Otto.
    »Das heißt«, belehrte Jakob ihn milde, » CONSILIUM ZUR WAHRUNG DER WELTGELTUNG DEUTSCHER WERTE UND WÄHRUNGSINTERESSEN . So hat’s jedenfalls auf all den Briefen gestanden, die ich so ab und zu gekriegt habe. Was soll das eigentlich, habe ich mir gedacht. Ich

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