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Hurra, wir leben noch

Hurra, wir leben noch

Titel: Hurra, wir leben noch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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1974.
    Finster sah Wenzel Prill, Jakobs Generalbevollmächtigter für das Finanzwesen, die beiden Herren an, die vor ihm in der Halle jenes Hauses in Bonn saßen, in dem einmal der Arnusch Franzl residiert hatte.
    »Die Lage war noch nie so ernst«, sagte er. (Immer noch kein Dr. jur.)
    »Den Satz kenne ich doch«, rief Jakob fröhlich. »Den hat doch bei jeder Gelegenheit der Adenauer gesagt!«
    »Du wirst gleich nicht mehr so fröhlich sein«, sagte Wenzel. »Jetzt geht es nämlich um die Wurscht.«
    »Was für eine Wurscht?« fragte der Karl Jaschke.
    »Um alle unsere Werke, überhaupt um alles, Mensch! Oder lebst du hinter dem Mond?«
    »Wie redest du denn mit dem Jaschke?« Jakob wurde zornig.
    »Reg dich ab und hör mir zu. Vor ein paar Wochen war ich im Bundeswirtschaftsministerium und habe mit ein paar von den höchsten Beamten gesprochen. Und da hat mir einer gesagt: ›Wenn die Araber diese Ölblockade noch lange durchhalten, dann steht uns allen einiges bevor!‹ Die Araber halten die Ölblockade durch, wie ihr seht. Und sie haben schon ganz hübsche Wirkungen erzielt.«
    »Zum Beispiel?« fragte Jakob. Er drückte seine Hasenpfote, die er in der Hosentasche hielt. Mach, daß alles gutgeht, dachte er, daß nix Schlimmes passiert, Hasenpfote, liebe.
    »Jeder tut, was er will, in Europa – und Amerika geht in den Arsch. Die Europäer haben dazu noch diese widerwärtige ›Alles schon mal dagewesen‹-Einstellung!« sagte Wenzel. »Schaut euch England an!«
    »Warum sollen wir uns England anschauen, Wenzel?« frage Jakob unschuldig.
    »Weil ich gerade aus London komme und England ein typisches Beispiel auch für uns ist. Ich war bei dem armen Sir Derrick. Er hat mich flehentlich gebeten, ihm zu helfen. Ich tu, was ich kann. Das ist natürlich nur ein Tropfen auf den heißen und so weiter. Also, in England fehlen Milchflaschen! Coca-Cola bettelt in einem Werbefeldzug, der siebzigtausend Pfund kostet, um die Rückgabe von leeren Flaschen! Die Zeitungen drucken weniger, weil Papier fehlt. Kunstmaler malen auf Karton, weil Leinen ausverkauft ist. Außenhandelsdefizit im Oktober: dreihundert bis dreihundertsiebzig Millionen Pfund Sterling! Lebensmittelpreise seit 1971 um fünfundvierzig Prozent gestiegen! Die Bergarbeiter weigern sich, noch mehr Überstunden zu machen. Zusätzliche zweihundert Millionen Tonnen Kohle, die man dringend benötigt, bleiben in der Erde! Eisenbahnerstreiks! Die Lokomotivführer wollen am Sonntag nicht fahren! Hier!« Wenzel hob eine britische Zeitung. »›Evening Standard‹! Hundertundeine Methode, sich warm zu halten. Zum Beispiel: Besuch der Reptiliengehege im Zoo. Da ist es schön warm. Oder: Eßt Curry! Oder hier, bitte: Denkt an den Kaukasus! Und noch eine ganz spezielle Empfehlung: Gehen Sie mit dem Menschen Ihrer Wahl ins Bett!«
    »Hör schon mit England auf«, maulte Jakob. »Wir sind in Deutschland!«
    »Und du meinst, hier wird es blühender aussehen?« Wenzel lachte heiser. »Hast du eine Ahnung, Mensch! Überall sieht es beschissen aus! In Übersee! In Nord- und Südamerika! In Japan! Merkst du was?«
    »Nein«, sagte Jakob.
    »O Gott, Mensch, da hast du doch überall deine Werke! Die Plastikfabriken! Die Fertighausfabriken! Die Kliniken! Die Touristik-Unternehmen! Was glaubst du, was es dich jetzt kostet, zu fliegen oder ein Flugzeug zu chartern – bei dieser Benzinpreiserhöhung? Was glaubst du, wie lange deine Schiffe und Tanker überhaupt noch fahren können? Und womit? Für deine Plastikfabrikate braucht man zur Herstellung Öl! Die Fabriken brauchen Öl! Egal, welche! Egal, wo!«
    »Eijeijei«, sagte Jakob.
    »Oi weh«, sagte der Jaschke.
    »Jetzt endlich geht euch der Arsch mit Grundeis, ja, ihr fröhlichen Idioten!« Wenzel regte sich mehr und mehr auf. »Dein ganzes Imperium kracht bereits, Jakob!«
    »Das ist nicht wahr!« Jakob war hochgefahren.
    »Und ob es wahr ist! Es kracht in allen Fugen. Die Umsätze sind bereits rückläufig. Die Fabriken, die Kurzarbeit eingeführt haben! Die Riesenaufträge, die storniert worden sind! Alles in den letzten paar Tagen!«
    »Aber wieso …«, begann Jakob, und Wenzel unterbrach ihn erbost: »Stell dich nicht noch blöder, als du ohnehin schon bist! Ich habe gesagt, deine Fabriken brauchen Mineralöl, um arbeiten zu können. Weil sich alle Industrienationen des Westens und die meisten des Ostens ganz auf Öl eingestellt haben! Schlimm genug, daß ich euch Arschlöchern das noch erklären muß! Wir sind alle so

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