Hurra, wir leben noch
gesagt«, erklärte Jakob. »Lesen Sie die ganze siebente Szene des dritten Aktes, verehrter Herr Rechtsanwalt. Sie werden finden, daß – nur kurz vor dem Ende! – Götz zu Maria sagt: ›Wir werden uns verteidigen, so gut wir können.‹«
»Wa … was sagt Götz?«
»›Wir werden uns verteidigen, so gut wir können‹«, wiederholte Jakob mit Genuß. »Diese Stelle habe ich natürlich gemeint. Grüß Gott, Herr Rechtsanwalt.«
Natürlich hatte Jakob niemals im Leben den ganzen ›Götz‹ oder auch nur ein ganzes Epigramm, geschweige denn ein ganzes Gedicht von Goethe gelesen. Nur nach Götzens grobem Gruß hatte er gesucht. Und bei dieser Gelegenheit jene andere, von ihm mit soviel Erfolg zitierte Stelle entdeckt. Danach interessierte ihn Goethe nicht mehr. Doch Jakob war selig gewesen, von da an stets einen kleinen Scherz zur Hand zu haben.
Nun hatte er ihn also wieder einmal zur Hand gehabt.
Ach was, dachte er, ganz der alte Jakob, es wird alles nicht so heiß gegessen und so weiter. Ich komme schon wieder raus aus dieser Klemme. Ich bin immer noch aus allen Klemmen rausgekommen! Rutscht mir doch alle den Buckel runter! Genug für heute! Jetzt gehe ich in das Nebenappartement. Da wartet Natascha auf mich, meine geliebte Natascha. Die weiß, wer ich bin! Die weiß mich zu schätzen! Und der werde ich es jetzt besorgen!
62
»Aber das macht doch nichts, Darling«, sagte Natascha Ashley eine Stunde später. Nackt lag sie auf dem großen Bett in Jakobs Appartement, rauchte eine Zigarette und streichelte tröstend den Arm eines leise keuchenden, schweißbedeckten, gleichfalls nackten Jakob, der, am Bettrand sitzend, die Beine und andere Dinge hängen ließ. »Du bist überarbeitet, da ist es doch kein Wunder! Ich habe so etwas schon lange erwartet. Raubbau treibst du mit deiner Gesundheit. Das hält kein Mensch von der Welt aus … So sag doch endlich auch etwas, Darling!«
Ja, Darling, dachte Jakob. Darling, Scheibenhonig! So was ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht passiert! Noch nie! Und dabei war Natascha heute bereit, mir alles zu gewähren, sogar eine …
»Du sollst etwas sagen, Darling!« Jetzt hatte Natascha sich aufgerichtet. »Warum mußtest du dich in deiner Überarbeitung auch noch derartig verausgaben mit dem Versuch einer Chinesischen Schlittenfahrt?«
Jakob erstarrte zu Eis.
»Was ist denn, Darling? Was hast du?«
Er brachte kein Wort heraus.
»Jake! Mach mich nicht verrückt! Bist du krank?«
Kaum hörbar kam es über unseres Freundes Lippen: »Hast du Chinesische Schlittenfahrt gesagt?«
»Ja, natürlich! Die hast du doch mit mir machen wollen! Nur daß es nicht geklappt hat. Ich sage dir doch, das macht nichts, Darling, das …«
»Du …« Er mußte noch einmal ansetzen. »Du … weißt, was das ist, eine Chinesische Schlittenfahrt?«
Natascha sah ihn mitleidig an.
»Aber Jake, Darling, natürlich weiß ich, was das ist, eine Chinesische Schlittenfahrt. Das weiß doch jedes Kind!«
»Jedes Kind …«, wiederholte er blödsinnig.
»Entschuldige, Jake.«
»Was?«
»Daß ich gesagt habe, die kennt jedes Kind.«
»Na, offenbar ist es ja auch so«, antwortete er dumpf.
»Das spielt keine Rolle. Für dich war es etwas, von dem du gedacht hast, außer dir kennt es keiner, mein Armer … Und du warst sicherlich sehr stolz darauf …«
»Jetzt nicht mehr.«
»… und hast dir viel zugute gehalten auf diese Schlittenfahrt, und da sage ich dumme Kuh, jedes Kind kennt sie. Ich wollte dich doch nicht verletzen, dir nicht wehtun, mein Gott …« Natascha schluchzte auf. »Und doch muß ich es tun!«
»Eh?« Jakob kratzte seine Schulter. Er starrte Natascha an. »Was mußt du?« (Ein feiner Tag heute!)
»Dir wehtun«, jammerte die Dame.
»Warum denn, Natascha?«
»Weil … Nämlich … Es geht nicht anders …«
»Was geht nicht anders?«
»Ich habe so lange mit mir gekämpft!« gab Natascha bekannt. »Ich habe so viele Nächte keinen Schlaf gefunden! Ich habe mich eine Ewigkeit immer und immer wieder gefragt: Darfst du es tun?«
»Und jetzt bist du soweit, daß du weißt, du mußt es tun.«
»Jetzt bin ich soweit, ja.« Tragisch lastende Stille.
Dann forschte Jakob: »Was, verflucht und zugenäht, mußt du tun?« (Man sieht, Jakobs Lebensgeister kehrten trotz des schrecklichen Versagens seines kostbarsten Gutes wieder.)
»Ich muß dich verlassen«, hauchte Natascha und umarmte den nackten Jakob wild.
Bumm, dachte der. Wieder eine! Das geht ja immer
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