Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hurra, wir leben noch

Hurra, wir leben noch

Titel: Hurra, wir leben noch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
Vom Netzwerk:
konnte), erlebte die Edle, was sie noch niemals erlebt hatte. Es brachte sie fast um den Verstand. Man bedenke: Eine Frau mit der Veranlagung dieser Edlen! Ein Mann! Und dieser Mann macht mit ihr, aus kaltem Haß und siedend heißem Zorn, die wüsteste Chinesische Schlittenfahrt seines Lebens!
    So wüst war diese Fahrt, daß selbst Jakob, der Sportgestählte, eine Stunde später mit schlackernden Knien wieder in seine Hosen fuhr.
    Die Edle aber lag zitternd vor völlig ungewohntem Entzücken und in totaler Schwäche auf dem Bett, unfähig, ein Glied zu rühren, unfähig, eine Silbe hervorzubringen, und so lauschte sie denn hilflos dem, was Jakob ihr noch zu sagen hatte, nämlich dieses: »Also. Sehr Edle und Sehr Mächtige Frau Baronin« (rein ins Hemd, die Knöpfe schließen können wir später) »von Lardiac, Edle Frau und Gerichtsherrin von Valtentante« (Jacke), »erbliche Palastdame am Hof« (linker Socken, linker Schuh), »von Jerusalem zufolge des Privilegs, verliehen der sehr ruhmreichen« (rechter Socken, rechter Schuh) »Familie Lardiac durch Kaiser Friedrich den Zweiten, späterhin König von Jerusalem« (tiefes Atemholen) – »ist Ihnen das jetzt obszön genug gewesen?«

[home]
Epilog
    Der Tod ist ein schlechter Abschluß vom Leben.
    Es wäre viel schöner sicherlich:
    Erst sterben, dann hätte man’s hinter sich –
    und nachher leben!
     
    Der Vortragskünstler OTTO REUTTER (1870–1931)

1
    Etwa zwanzig Kilometer vor Theresienkron überholte ein junger Lackel auf seinem Rennrad den zügig die Pedale tretenden Jakob. Er überholte ihn auf die gemeinste Art und Weise und schnitt ihm dabei so heftig den Weg ab, daß Jakob bremsen mußte. Und fluchen.
    Der Lackel trug Sportschuhe, eine Turnhose und ein gelbes Trikot, auf dessen Rückseite RADSPORTVEREIN LINZ zu lesen war. Der Lackel kam sich ganz groß vor.
    Kommst dir wohl ganz groß vor, Lackel, dachte Jakob, der einen weiten Weg hinter sich hatte, aber noch im Vollbesitz seiner sportgestählten Kräfte war. Na, dir werde ich jetzt mal was zeigen, du Schneider, du dreckiger!
    Jakob beugte sich tief vor, schaltete die Gänge, trat heftiger und heftiger auf die Pedale und fuhr schneller und schneller. Die Straße war staubig, die Sonne schien am Vormittag dieses 30. Oktober 1977.
    Der Knabe vom RADSPORTVEREIN LINZ staunte nicht schlecht, als vier Minuten später Jakob an ihm vorbeisauste, sein Rad genauso gemein nach rechts riß, wie zuvor der andere es getan hatte, und zu dem Knaben auch noch kopfschüttelnd zurückblickte, indessen dieser notbremsen mußte. Mit heruntergeklapptem Unterkiefer stierte der Sportsfreund dem Herrn im grauen Flanell, mit Spangen an den Hosenbeinen, nach. Der hat doch schon ganz graue Haare, der Opa, dachte er, der ist ja mindestens fünfzig!
    So was gibt’s doch nicht.
    Der Lackel nahm die Verfolgung auf. Aber er erreichte den Opa nie mehr, er fuhr nur in der von diesem verursachten Staubwolke. Schließlich ließ er hustend und mit tränenden Augen von seinem Bemühen ab. Ich gäb’ was drum, wenn ich bloß wüßt’, wer dieser Kerl gewesen ist, dachte er, denn er ging noch ins Gymnasium, und da lasen sie gerade Goethes ›Faust‹. Mit verteilten Rollen. Der Knabe war das Gretchen. (Dereinst in Rußland war Jakob das Gretchen gewesen.) Und das Gretchen sagt so etwas Ähnliches.
    Fünfundzwanzig Minuten später sauste Jakob an einem Schild mit der Aufschrift THERESIENKRON vorbei. Er mäßigte sein Tempo, als er in das Dorf einfuhr.
    Dorf?
    Er konnte nur staunen!
    Da gab es jetzt eine richtige Hauptstraße mit Nebenstraßen und also Kreuzungen mit Verkehrsampeln! Da gab es moderne Häuser! Da gab es einen Supermarkt, ein Kino mit Riesenplakaten, die tolle Pornofilme ankündigten, alle möglichen Arten von Geschäften, drei Bankfilialen, ein schmuckes Postamt!
    Junge, Junge, überlegte Jakob, 1946, da habe ich hier in der Nähe gedacht: Gebt mir sieben Jahre Zeit für meinen Krieg! Nun sind es dreißig Jahre geworden. Und was habe ich eigentlich erreicht in meinem Dreißigjährigen Krieg? Ist vielleicht nicht doch der ›Leckt-mich-am-Arsch‹-Standpunkt das einzig Richtige?
    Die Leute, denen Jakob begegnete, schauten ihm neugierig nach. Er kannte keinen einzigen, und sie kannten den seltsamen Fremden nicht. Bei der nächsten Kreuzung hielt Jakob und überlegte scharf. Moment mal, wo war jetzt gleich das Haus von der Pröschl-Bäuerin? Das ist ja alles völlig neu hier. Fragen werde ich wohl müssen, so sehr hat sich

Weitere Kostenlose Bücher