Hurra, wir leben noch
gegeben hat, in der ich vor euch Hemmungen gehabt habe, in der es mein größter Wunsch gewesen ist, aufgenommen zu werden in eure Kreise, verflucht noch mal! (Schlückchen … nein, das Glas ist leer. Füllen wir es also wieder. Das war doch eine gute Idee von mir, daß ich dem Kellner gesagt habe, er soll die Flasche gleich dalassen.) Also dann auf euer Wohl, ihr Mistviecher! Ihr Noblen! Ihr Reichen! Ihr Armleuchter!
Was seid ihr denn wirklich wert, ihr Noblen und Großen und Mächtigen dieser Welt? Als ich Geld gehabt habe, habt ihr mich angebetet! Jetzt? Jetzt scheißt ihr auf mich und werdet wahrscheinlich den Wenzel anschnorren, werdet ihn um Gefälligkeiten, um Fürsprache und was es so alles gibt bitten, denn der Wenzel, der hat noch Geld. (Das ganze Glas ex, neu gefüllt!) Ihr Kreaturen seid immer und überall dort, wo das Geld ist, wo die Macht ist! (Das ganze Glas auf einmal leer.) Die gerade ›herrschende Schicht‹ seid ihr. Und die gerade herrschende Schicht muß im SACHER fressen und im PALACE in St. Moritz wohnen! (Drei große Schlückchen.)
Jakobs jähe Erkenntnisse überwältigten ihn ebensosehr wie der Whisky. Und beides setzte einen unaufhaltsamen Gedankenstrom in Gang: Wer hat mir denn beigebracht, ›fein‹ zu sein und ›fein‹ zu speisen und ›fein‹ zu trinken und ›fein‹ Konversation zu machen? Wer hat mich denn dressiert, daß ich unbedingt (verdammt, es war ja ›bedingt‹, hat dieser dämliche Püschoanalytiker da in Washington gesagt!) – wer hat mich denn dressiert, daß ich bedingt unbedingt wissen muß, wer Hindemith ist und wer die heilige Anna Selbdritt? Durch wen bin ich denn in eure Scheißwelt überhaupt erst richtig hineingekommen und habe Orden und Ritterkreuze und was weiß ich gekriegt? Und meine Zeit mit Angeberei, Geldrausschmeißen und Jet-Set-Getue vergeudet? Wer ist das denn gewesen, der das alles fertiggebracht hat? Wer denn?
Das ist
die Edle
gewesen, Gott verflucht noch mal! (Drei Schlucke. Glas leer. Glas wieder voll.) Die Edle! Wie die mich getriezt und geschliffen und gequält hat! Was ich bei der ertragen und ausgehalten habe! Dieses hochmütige, selbstgefällige, niederträchtige Aas, das wo zurückgegangen ist bis auf Kaiser Lobgesang! Und damit war Jakob einem Tobsuchtsanfall nahe.
Und mächtig blau. Und verbohrt in seine Idee: Die Edle, die Edle, die Edle ist schuld an allem! Jawohl, an allem! So viele gute, einfache und anständige Menschen gibt es auf der Welt, drei oder vier Milliarden, glaube ich, aber nein, nicht zu ihnen hat die Edle mich gebracht, nicht zu ihnen, nein, sondern zu denen da, zu diesen Arschgesichtern, zu diesen angemalten Weibern (Schlückchen, küß die Hand, gnä’ Frau!), zu diesen ach so Auserlesenen, haha, zu diesen ach so Berühmten, haha, zu diesem ganzen beschissenen Pack, für das ich jetzt nicht mehr existiere, bloß weil ich arm bin.
Das Glas ganz voll!
Das Glas gekippt bis zur Neige!
Schwankend erhob sich Jakob.
Rot, rot, rot wehten Schlieren vor seinen Augen.
»Na warte«, murmelte er und stolperte davon, ohne daß jemand ihn beachtete. »Na warte …«
66
»Aaaaaahhh!«
Mit einem Entsetzensschrei fuhr die Edle in ihrem Bett im Schlafzimmer ihrer schönen Villa im Münchner Prominentenviertel Bogenhausen in die Höhe. Es war noch früh am Morgen – genau 6 Uhr 32.
»Wie kommen Sie hierher, Formann?«
»Mit dem Fahrrad.«
»Ich meine: Wie kommen Sie hier herein, Formann?«
»Durchs Fenster, Baronin. Es war offen.«
»Aber ich schlafe im zweiten Stock!«
»Draußen sind Streben mit Weinlaub, und ich bin ein sehr guter Kletterer.«
»Was wollen Sie eigentlich von mir? Sind Sie irre geworden?«
»Das werden Sie gleich sehen, Baronin.« Weiß Gott, das wird sie, dachte Jakob, aus den Hosen steigend. Den ganzen Weg von Frankfurt bis München über hatte er seine Wut auf die Edle am Kochen gehalten. Jetzt war sie am Überkochen. Weg mit dem Hemd! Raus aus der Unterhose! Und rauf auf die Edle!
Sie kreischte (bis Jakob ihr den Mund zuhielt) und kratzte und trat und schlug, doch es half alles nichts.
Jakob war stärker.
»Jetzt bist du dran«, sagte er, während er ihren letzten Widerstand brach (der schon keiner mehr war – Jakob merkte, wie sie nachgab, mehr und mehr). »Jetzt zahle ich’s dir heim. Deine ganze Scheißerziehung, die keine gewesen ist, und das Gesindel, mit dem du mich verrückt gemacht hast!«
Keuchend, den Kopf hin und her werfend (es war das einzige, das sie noch werfen
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