Hurra, wir leben noch
immer nicht seinen Doktor juris utriusque. (»Zu was brauche ich den jetzt noch?« pflegte er zu sagen.) Seine Leidenschaft für Rothaarige indessen hatte er noch. Jakob sah ein paar von ihnen in den folgenden Wochen und wurde munter.
»Tolle Bienen, was?« Wenzel strahlte. Jakob nickte. »Wenn du mal eine haben willst …«
Jakob wollte.
Mit dem, was folgte, war er sehr zufrieden. Donnerwetter, dachte er, ein Jüngling, ein wahrer Jüngling bin ich noch. Also diese süße Kleine, die ist mir doch nach der zweiten Schlittenfahrt glatt ohnmächtig geworden!
Aber ach …
Wie die Tage vergingen, so wuchs Jakobs Unruhe wiederum. Wenzel, der ihn nicht weglassen wollte, veranstaltete am Abend des 5. Oktober 1977 eine große Party, zu der er viele alte Bekannte seines Freundes lud – Finanzleute, Politiker, Aristokraten, Unternehmer und Kaufleute, die meisten mit ihren Frauen. Alle diese Leute waren Jakob früher stets mit größter Hochachtung und Freundlichkeit begegnet, und Wenzel hoffte zuversichtlich, daß Jakob viele dieser alten Bekanntschaften wieder auf- und zum Anlaß nehmen würde, zu bleiben. Leider irrte der gute Wenzel sich da gewaltig …
Die Zeiten waren mittlerweile sehr unruhig geworden in Deutschland. Es gab Kaufhausbrände, Attentate, Schießereien, Morde, Entführungen, Geiselnahmen, gekaperte Flugzeuge und jede Menge Terroristen.
Der Terrorismus bildete denn auch auf jener Party vom 5. Oktober 1977 das Hauptgesprächsthema, weil nämlich im September wiederum eine ganz hohe Persönlichkeit entführt worden war. Die Entführer verlangten für die Freilassung dieser Geisel die Freilassung inhaftierter Genossen, und um der Sache Nachdruck zu verleihen, entführten andere Terroristen wiederum einmal ein Flugzeug und flogen damit um die halbe Welt, und in der Maschine saßen einhunderteinundzwanzig völlig unbeteiligte Menschen, Männer, Frauen und Kinder. Das Kommando an Bord drohte, das Flugzeug mit all diesen Menschen und sich selbst in die Luft zu sprengen, wenn den Forderungen nach der Freilassung der inhaftierten Terroristen nicht Folge geleistet würde.
Wenzel hatte es wirklich gut gemeint – und wirklich schlecht getroffen. Den Abend lang sprachen die so vornehmen und ehrbaren Damen und Herren über nichts als dieses Geschehen – und überhörten beharrlich alles, was Jakob sagte.
Also, das ist ja ein tolles Ding, dachte Jakob verblüffter und verblüffter. Da sind doch haufenweise Kerle darunter, die mir alles verdanken! Und wie benehmen die sich? Die benehmen sich, als wäre ich überhaupt nicht da.
Jakob wanderte von Grüppchen zu Grüppchen und versuchte, seine Ansichten bekanntzugeben. Es mißlang ihm hundertprozentig. Hm, dachte er, hm. Und setzte sich in einen tiefen Lehnstuhl in der Nähe der Bar. Ein Kellner fragte nach seinen Wünschen. Er trug ein Silbertablett mit Gläsern voll Champagner und Whisky, und es erstaunte ihn, daß Jakob sich ein großes Glas voll Whisky griff, denn vorher hatte Jakob stets nur Orangensaft verlangt. Noch mehr erstaunte es ihn, als Jakob, nachdem er das Glas gekippt hatte, brummte: »Bringen Sie mir eine ganze Flasche und ein Kübelchen mit Eiswürfeln, bitte!«
»Sehr wohl, Herr Formann, aber Herr Prill hat doch gesagt, Sie trinken sonst nie Alkohol …«
»Manchmal schon«, sagte Jakob. »Heute abend zum Beispiel. Also, wenn ich um die Flasche ersuchen dürfte, mein Freund.«
»Gewiß, selbstverständlich, sofort, Herr Formann!« Der Kellner verschwand und kehrte gleich darauf mit allem Gewünschten wieder. Jakob goß ein neues Glas voll, ließ zwei Eisstückchen in den Whisky plumpsen und nahm einen weiteren Riesenschluck. Damit (wir kennen seine unheilvolle Beziehung zum Alkohol) war alles, was folgte, bereits sozusagen programmiert …
Scheißbande, dachte Jakob, aus seinem Sessel das bunte Treiben der Geladenen betrachtend, ihrer geistreichen Konversation lauschend, neuerlich Schlückchen nehmend. Scheißbande, verfluchte! Wie viele von euch Blaublütern, euch elendigen, haben mich – leider mit Erfolg – angeschnorrt, wieder und wieder? Wie vielen von euch biederen Wirtschaftsführern habe ich die Karriere ermöglicht? Was habt ihr, ihr Herren der Großbanken, an mir verdient? So geht’s ja nicht! (Schlückchen.) Weil ich nun pleite bin, existiere ich nicht mehr für euch, wie? Weil ihr von mir kein Geld mehr bekommt, kennt ihr mich nicht mehr, was? (Zwei Schlückchen.) Gesindel! Und wenn ich denke, daß es eine Zeit
Weitere Kostenlose Bücher