Hurra, wir leben noch
letzten Tagen. Und das war amerikanisches Schmalz! Da waren genügend Zwiebeln drin! Ach, und Grieben! Solche Grieben hatte Jakob noch nie gegessen! Die vier anderen Konserven bekommt der Josef, mein lieber Fälscher in München, dachte er, über sich selbst gerührt. Der hat sie verdient. Für derartig gute Arbeit! Kauend erreichte er den Bahnhof und erwartete ohne Unruhe das Eintreffen des ›Orient-Expreß‹, der ihn nach München zurückbringen sollte.
Zu jener Zeit lag Mrs. Fletcher im Schlafzimmer ihres Salons wild schluchzend bäuchlings auf dem Bett und schlug mit den Fäusten auf die Kissen ein. Ihr Körper bäumte sich immer wieder auf. Es war ein schrecklicher Anblick, den Gott sei Dank niemand sah. Neben ihr lag ein Brief. Laureen hatte ihn nach dem Erwachen gefunden und gelesen. In diesem Brief stand:
Geliebter Schatz!
Ich habe nicht den Mut gehabt, es Dir zu sagen, darum schreibe ich es. Und gebe einen Weckauftrag für 20 Uhr. Damit du Deinen Zug nicht versäumst. Wenn Du also um 20 Uhr geweckt wirst, wirst Du diesen Brief finden. Ich weiß, ich tue Dir sehr weh – aber es geht nicht anders. Natürlich kann ich nicht mit Dir an die Riviera fahren, denn ich muß zurück zu meinen Eiern, und zwar schnell. Verzeih mir. Du erreichst Deinen Zug leicht, er geht erst um 24 Uhr. Ich danke Dir für all Deine Güte. Vielleicht werden wir uns einmal wiedersehen. Wer weiß?
Ganz zärtlich umarmt Dich Dein Jakob,
in dem Du einen Freund fürs Leben gewonnen hast.
Tausend Bussi!
P. S. Dem Portier habe ich gesagt, ich fahre schon voraus an die Riviera. Keine Angst!
57
»Sie verfluchter Hund«, hörte Jakob eine Stimme toben. Es war am 9. Februar 1947. Jakob saß auf einer Kiste in einer der zweckentfremdeten ehemaligen Fabrikhallen nicht weit von Frankfurt am Main. Auf einer anderen Kiste saß Wenzel Prill. An die siebentausend Küken zwitscherten um sie herum. Von draußen donnerte es weiter: »Faule Sau! Glauben Sie, ich sage Ihnen zehnmal, Sie sollen Ihre Batterien reinigen? Mann, waren Sie vielleicht in der Partei?«
Eine ängstliche Stimme: »Nein, bitte.«
Die tobende Stimme: »Warum nicht? … Eh, ich meine: Wo waren Sie, als die Mörder herrschten?«
»An der Front …«
» SS ?«
»Auch nicht. Ga … ganz normaler Schütze Arsch …«
»Zum Kotzen! Wenn Sie in der Partei oder in der SS gewesen wären, dann könnte ich jetzt wenigstens Ihren Ausschluß beantragen … eh, Ihre Bestrafung fordern! Faules Pack! Glaubt wohl alle, ihr seid noch unterm Hitler, was? Habt nicht gemerkt, daß eine neue Zeit angebrochen ist – wie?«
»Wem gehört denn das kräftige Stimmchen?« fragte Jakob.
»Hölzlwimmer heißt der Kerl. Mein Stellvertreter, wenn du willst.«
»War dieser Hölzlwimmer im Gefängnis oder im KZ ?«
» KZ ! Gefängnis! Mensch, ich lach’ mich kaputt! Ein alter Nazi ist er! Hat vor 45 genauso gebrüllt und getobt mit den armen Hunden, die ihm ausgeliefert waren hier.«
»Was heißt hier?«
»Na, hier in dieser Flugzeugfabrik! Der Hölzlwimmer, der war hier Vertrauensmann der Partei für die Deutsche Arbeitsfront!«
Jakob starrte Wenzel an.
»Und so was setzt du als Aufpasser ein?«
»Selbstredend«, sagte Wenzel. »In Waldtrudering und in Bayreuth habe ich das auch getan. Es gibt keinen Besseren. Diese Typen haben es in sich, Junge. Gestern Nazis, heute Superdemokraten! Brüllen und drohen und bescheißen. Funktionäre eben! Das ist kein Beruf. Das ist ein Charakter. Du wirst dich noch wundern, mein Alter, wie das weitergeht mit denen. Wir sind ja nur klein-klein. Aber warte mal die Großkopfeten ab – in der Politik, in der Kultur, in den Parteien, in der Industrie! Gestern: Ein Volk, ein Reich, ein Führer! Heute: Freiheit und Demokratie! Morgen: Rotfront und Arbeitereinheit. Funktionäre! Die Herren der Zukunft!«
»Den Typ muß ich mir ansehen«, sagte Jakob zu Wenzel. Sie gingen ins Freie.
Wenzel machte die Herren miteinander bekannt. Ein Ehrenmann, dieser Ignaz Hölzlwimmer, dachte Jakob. Also wirklich! Das selbstbewußte Auftreten. Die imposante Erscheinung. Die blauen Augen, die so aufrecht, treu und wahr ins Leben blicken, das herzhafte Lachen … Wenn man sich dagegen ansieht, was sonst so zwischen den Flugzeughallen im Schneematsch herumschlurft, könnte man meinen, das sind lauter pervertierte Asoziale, die zu Arbeit und
etwas
Würde angetrieben werden müssen von eben jenem unermüdlichen Ignaz Hölzlwimmer, der allerdings, wie Jakob sehr schnell
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