Hurra, wir leben noch
Cortez. Dann holten sie Jakobs Schweinslederkoffer aus dem Wagen. Der Koffer mit den belgischen Francs blieb natürlich im Wagen.
»Es geht ein Zug um zwei Uhr fünfzehn früh«, sagte Jakob, während sie gemeinsam das Gepäck über den Platz in den Wartesaal des kleinen Bahnhofs schleppten. »Sie fahren schon los nach Paris und zu Monsieur Arnusch. Es ist jetzt keine Zeit zu verlieren.«
»Und was machen Sie bis der Zug kommt?«
»Ich werde ein bißchen lesen«, sagte Jakob und zog ein schmales Buch aus der Tasche. Es war in englischer Sprache abgefaßt und trug den Titel DER SCHICKSALSKAMPF DER WALLONEN UND FLAMEN .
55
»Ach ja«, sagte Mr. Fletcher am nächsten Vormittag, träumerisch Mrs. Fletcher betrachtend, »es ist doch schön, wieder daheim zu sein.«
Er saß neben seiner Gattin auf einer zartgeschwungenen Recamière, im Salon seines Luxusappartements im HÔTEL DES CINQ CONTINENTS in Paris. Große Bodenvasen voller roter Rosen verstellten den Weg. Es roch wie in einer Gärtnerei oder einer Aussegnungshalle. Rechts von Jakob saß der Handelsattaché Amadeo Juarez, links von ihm sein alter Schulfreund Franzl Arnusch. Jakob küßte Mrs. Fletcher in den Nacken. Sie schnurrte wie eine Katze.
»Schnell noch zum Geschäftlichen«, sagte Franzl. Damit überreichte er Jakob den Diplomatenkoffer aus dem Linzer PX . (Der Hase! Ich muß unbedingt zu ihm, dachte Jakob. Aber nicht jetzt. Erst habe ich noch andere Sachen zu erledigen.) Der vom Alliierten Kontrollrat für das befreite Österreich eingesetzte Devisenfahnder öffnete den Koffer. Liebliche grüne Notenbündel erblickte Jakob.
»Bittschön«, sagte der Franzl. »Das wären also fünfzig Prozent vom Dollar-Gegenwert für die belgischen Francs, die du diesem Rouvier abgenommen hast. Keine hunderttausend Dollar, nur rund achtzigtausend, denn beim Rückwechseln hier haben natürlich die Pariser Schieber wieder verdienen müssen, klar.«
»Klar«, sagte Jakob. »Ihr wart aber ganz schön fleißig, Kinder!«
»Gleich nachdem Amadeo zu mir gekommen ist, sind wir los zu den Schiebern. Zu allen, die ich kenne. Einer oder zwei hätten nie so viel Dollar flüssig gehabt. Trotzdem sind fast hundertfünfzigtausend Dollar in deinem Diplomatenkoffer, denn wir haben uns erlaubt, das Nadelgeld, das du dir privat in Antwerpen verdient hast, auch schon einzuwechseln. Damit wäre das Geschäfterl gelaufen.«
»Franzl, mein Bester, du mußt mir einen Gefallen tun, und zwar schnell!«
»Gerne, mein Lieber. Was soll’s denn sein?«
Jakob gab seinem Schulfreund eine Liste mit siebenundfünfzig Adressen in Deutschland und zweitausendachthundertfünfzig Dollar.
»Überweise bitte das Geld sofort an Rubi. Er soll fünfmal siebenundfünfzig CARE -Pakete kaufen und sie an diese Adressen schicken. Natürlich mit erfundenen Absendern.«
»Was sind denn das für Leute?«
»Verwandte von Freunden«, sagte Jakob kurz und gedachte dankbar der Kriegsgefangenen im Antwerpener Hafen.
»Mach’ ich noch heute«, versprach der Arnusch Franzl.
»Ich danke auch schön«, sagte Jakob.
»Wir danken dir«, sagten Laureen und der Franzl im Chor.
»Wofür eigentlich?«
Franzl wies auf die Bodenvasen. »Na, für deine Ideen mit dem l’Amour-Schmäh! Der hat vielleicht hingehauen. Ihr zwei seid das Stadtgespräch! Die Liebenden von Paris! Jetzt müßt ihr allerdings schleunigst verschwinden, Amadeo und ich können bleiben. Ich muß sogar. Hab’ noch was zu erledigen. Wie es so geht im menschlichen Leben.«
»Wir verreisen, Franzl«, sagte Laureen mit ihrer tiefen, rauchigen Stimme und kraulte Jakobs Nacken. (Sie hatte ihn auf der Gare du Nord abgeholt und dabei ein Theater aufgeführt wie noch nie. Auch in der Hotelhalle.)
»Möglichst weit fort, Boß!« sagte Franzl.
»Ich denke, wir gehen an die Côte d’Azur«, sagte Laureen. »Da ist jetzt keine Saison, alle die ordinären Touristen sind noch nicht da, man hat Cannes und Antibes und Monte ganz für sich allein. Gefällt dir ›Eden Roc‹ und das ›Hôtel du Cap‹ auf Cap d’Antibes, Liebling? Ach, entschuldige, du kennst sie ja noch gar nicht.« Sie küßte Jakob leidenschaftlich. »Jetzt wirst du das alles kennenlernen, zusammen mit mir!«
»Hm.«
»Ich möchte, daß wir wirklich heiraten! Du bist der Mann meines Lebens, Jakob – ich empfinde keine Scheu, das vor unseren Freunden auszusprechen.«
»Wie wunderbar von dir.«
»Zwei Schlafwagenplätze im ›Train bleu‹ für heute abend habe ich schon bestellt,
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