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Hustvedt, Siri

Hustvedt, Siri

Titel: Hustvedt, Siri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Sommer ohne Maenner
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Die Hörgeräte sahen anders aus als die meiner Mutter; sie waren
viel größer und standen aus ihrem Ohr hervor wie große dunkle Blumen. Dicke Kabel
hingen daran herunter, und ich fragte mich, ob das eine zusätzliche Technik für
ihre extreme Taubheit war oder ein Rückblick in eine frühere Epoche. Obwohl nicht
annähernd so groß, erinnerten mich die Dinger an im 19. Jahrhundert gebräuchliche
Hörrohre. Sie ließ mich in einem Sessel Platz nehmen, bot mir Plätzchen und ein
Glas Milch an, als wäre ich sieben, und dann, ohne jede Überleitung, zog sie die
zwei Werke heraus, die sie mir zeigen wollte, und legte sie übereinander in meinen
Schoß. Dann begab sie sich langsam zu dem grünen Sofa und ließ sich vorsichtig in
einer Haltung darauf nieder, die anzusehen weh tat, aber ihre fröhliche, offene
Miene linderte mein Unbehagen, und ich nahm mir das oberste Stück.
    «Das ist ein
altes», sagte sie. «Stört mich nicht. Das ist das Beste, was ich sagen kann. Dieses
stört mich wenigstens nicht. Wenn ich sie aufhänge, fangen manche an, mich zu stören,
dann muss ich sie wegtun, gleich wieder in den Schrank sperren. Nun, was meinst
du?»
    Nachdem ich
meine Lesebrille aufgesetzt hatte, sah ich eine ausgearbeitete Szene vor mir, die
ein Klischee darzustellen schien: Im Vordergrund tanzte ein aus Filzresten ausgeschnittener
engelhafter blonder Junge mit einem Bären vor einem Hintergrund wild bewegter Blumenmuster.
Über ihm war eine gelbe Sonne mit lächelndem Gesicht. Kitsch as Kitsch can, dachte
ich. Die spöttische Wendung stammte von Bea. Doch als ich näher hinsah, bemerkte
ich, dass sich hinter dem faden Jungen, fast von dem Laubmuster verborgen, ein auf
Stoff gesticktes Mädchen befand, dessen Gestalt mit Garn in gedeckten Farben dargestellt
war. Eine überdimensionale Schere als Waffe schwingend, grinste sie eine schlafende
Katze böswillig an. Dann bemerkte ich über ihr ein blassrosa Gebiss mit Flügeln,
das man bei oberflächlicher Betrachtung für Blütenblätter hätte halten können, und
einen graugrünen Dietrich. Als ich die Formen im Blattgrün weiter erkundete, sah
ich etwas, was zwei nackte Brüste in einem kleinen Fenster zu sein schienen, und
gleich darauf einige Wörter, deren Buchstaben so klein waren, dass ich sie von mir
weghalten musste, um sie lesen zu können: Gedenke, dass mein Leben ein Wind ist. Ich hatte diese
Worte schon einmal gelesen, aber ich wusste nicht, wo.
    Als ich aufblickte,
lächelte Abigail.
    «Es ist nicht
das, was es zuerst zu sein scheint», rief ich ihr zu. «Das Mädchen. Die Zähne. Woher
stammt das Zitat?»
    «Brüllen hilft
nicht», sagte sie laut. «Eine kräftige laute Stimme reicht. Hiob. (Gedenke, dass mein Leben ein Wind ist und meine Augen nicht
wieder Gutes sehen werden.»)
    Ich sagte nichts.
    «Sie sehen
es nicht, weißt du.» Abigail strich über das Kabel ihres Hörgeräts, als sie den
Kopf neigte. «Die meisten. Sie sehen nur, was sie zu sehen erwarten, das Süße, nicht
das Saure, wenn du verstehst, was ich meine. Sogar deine Mutter hat einige Zeit
gebraucht, bis sie es bemerkte. Natürlich steht es in dieser Umgebung mit dem Sehvermögen
nicht zum Besten. Ich habe damit, ach, das ist Jahre her, in meinem Bastelclub angefangen,
habe meine eigenen Muster entworfen, aber es hätte nichts bewirkt, direkt damit
herauszurücken - ohne Umschweife —, weißt du, also fing ich mit etwas an, was ich
schließlich die heimlichen Vergnügungen nannte, kleine
Szenen innerhalb von Szenen, geheime Unterwäsche, wenn du verstehst, was ich meine.
Wirf einen Blick auf das Nächste. Es hat eine Tür.»
    Ich legte die
kleine Decke auf meinen Schoß und blickte auf die Rosen in Gobelinstickerei, gelb
und pink auf schwarzem Untergrund, mit verschieden grünen Blättern. Die Stickerei
war tadellos. Hier und da waren auch winzige Pastellknöpfe in das Blumenmotiv genäht.
Keine Tür.
    «Einer von
den Knöpfen geht auf, Mia», sagte sie. Ihre Stimme bebte beim Sprechen, und ich
spürte ihre Aufregung.
    Nachdem ich
an mehreren Knöpfen herumgefummelt hatte, sah ich, dass Abigail ihren Rollator packte,
zweimal Schwung holte, bevor sie sich von ihrem Sofa hochzog, und langsam zu mir
herüberkam - Rollator, Schritt, Rollator, Schritt. Bei mir angekommen, befand sich
ihr hängender Kopf direkt über meinem, und sie deutete damit auf einen gelben Knopf.
«Der da. Dann ziehen.»
    Ich schob den
Knopf durch ein Loch und zog. Der rosa Stoff gab den Blick auf etwas anderes frei.
Das

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