Hustvedt, Siri
geladener Gast).
Einige Bücher
und mehrere Forschungsberichte später entdeckte ich, dass die selbstgefälligen sechs
hundertprozentig unrecht hatten, was natürlich bedeutete, dass ich zweihundertprozentig
recht hatte. 1971 wies Frances Burton Orgasmen bei vier von fünf weiblichen Rhesusaffen
nach. Weibliche Stumpfschwanzaffen erleben regelmäßig einen Orgasmus, aber meistens
mit anderen Weibchen, nicht mit Männchen, und wenn sie kommen, schreien die Affendamen
genauso laut wie wir. Allan F. Dixson, der Verfasser von Primate Sexuality: Comparative Studies of Prosimians, Monkeys, Apes and Human
Beings, schreibt, sie drückten ihre Verzückung mit Tönen aus, die an
Frau Nikolaus erinnern: «Ho, ho, ho!» Ich benutzte diese drei verbalen Ejakulationen,
als ich den Göttergatten mit meinem Beweismaterial konfrontierte. «Ho! Ho! Ho!»,
sagte ich und knallte ihm die mit Post-its gespickten zwei Bücher und sechs Artikel
hin.
Warum, fragen
Sie vielleicht, ist die Theorie von den freudlosen Affenmädels so bekannt geworden,
dass alle sechs Kerle am Tisch sie als ganz selbstverständlich geschluckt hatten,
obwohl die betreffenden Primaten eine Klitoris haben, wie alle weiblichen
Säugetiere? Onan, wenn Sie sich an Seite 113 erinnern, wurde dafür bestraft, dass
er seinen Samen vergeudet hatte. Er sollte ihn nicht auf den Boden ergießen, sondern
irgendwo hinein - in eine Frau. Das ist das «Spare in der Zeit, dann hast du in
der Not»-Argument für Kinder. Doch anders als Onan, der niemanden ohne Orgasmus
besamen kann, kann Onans hypothetische Frau (die Frau, in der er hätte sein sollen)
empfangen, ohne den großen O zu haben, eine von Aristoteles erkannte, aber jahrhundertelang
vergessene Tatsache. 1559 entdeckte Columbus die Klitoris (dulcedo amoris), das heißt Renaldus Columbus. Er segelte
auf einer seiner anatomischen Reisen in sie hinein, obwohl Gabriel Fallopius ihm
die Entdeckung streitig machte und darauf bestand, er habe das Hügelchen als Erster
gesehen. Gestatten Sie, dass ich eine Analogie zwischen den beiden forschungsreisenden
Columbussen, Christopherus und Renaldus, herstelle. Ihre weniger als hundert Jahre
auseinanderliegenden Erschließungen, zuerst die einer Landmasse, dann die eines
Körperteils, haben eine vertraute Hybris gemeinsam, nämlich die der hierarchischen
Perspektive. Im Falle der Neuen Welt ist der herabschauende Betrachter ein Europäer.
Im klitoralen Fall ist er ein Mann. Sowohl die seit Jahrtausenden auf dem Boden
der «Neuen Welt» lebenden Völker als auch, wage ich zu behaupten, die meisten Frauen
wären von diesen «Entdeckungen» verblüfft gewesen. Dennoch bleibt die Klitoris ein
Darwinsches Rätsel. Wenn sie nicht für die Empfängnis benötigt wird, warum ist sie dann
da? Ist sie adaptiv oder nichtadaptiv? Die Sichtweise vom eingeschrumpelten kleinen
Penis (nichtadaptiv) hat eine lange Geschichte. Gould und Lewontin behaupten, die
Klitoris sei wie die Brust der Männer ein anatomischer Überrest. Andere sagen, nein;
die Lusterbse diene einem evolutionären Zweck. Die Schlachten sind blutig. Aber,
frage ich Sie, was spielen Adaptation oder Größe für eine Rolle, wenn das gesegnete
kleine Glied seine Arbeit gut macht? Bevor wir zu unserer Geschichte zurückkehren,
überlasse ich Sie den unsterblichen Worten von Jane Sharp, einer Engländerin und
Hebamme aus dem 17. Jahrhundert, die über die Klitoris schrieb: «Sie wird stehen
und fallen wie eine Rute, macht Frauen lüstern und schenkt ihnen Ergötzen an der
Paarung.» (Frauen, ihren Affenschwestern und, in Erwartung weiterer Forschung, wahrscheinlich
auch anderen Säugetieren.)
Als Columbus
einst auf den Wonneberg stieß, Hielt er inne und fragte: «Was ist denn dies?» Ein
Knopf, eine Erbse? Eine Anomalie?
Nein, dummer
Mann, die Klitoris!
Alice' Beichte
war nicht zusammenhängend, aber man konnte sich daraus eine Geschichte zusammenreimen.
Sie erzählte sie mir und ihrer Mutter Ellen, die, nicht lange nachdem Alice auszupacken
begann, dazugeholt wurde. Meine Augen wanderten zwischen Kind und Mutter hin und
her, während das Mädchen von kaum hörbarem Flüstern über erstickte Eingeständnisse
zu heiserem, keuchendem Schluchzen wechselte. Das Gesicht der Mutter war ein recht
getreues Abbild der Mimik des Kindes. Wenn Alice leise sprach, beugte sich Ellen
angespannt vor, und ihre Lippen registrierten jede Kränkung mit winzigen Bewegungen.
Wenn Alice weinte, verengten sich Ellens Augen, eine Falte erschien zwischen
Weitere Kostenlose Bücher