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Hustvedt, Siri

Hustvedt, Siri

Titel: Hustvedt, Siri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Sommer ohne Maenner
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zwar nicht den Entwicklungsstand erreicht haben, um Buschführer
zu werden, aber «weibliche Menschen neigen dazu, stärker als männliche unter anderem
in Empathie, sprachlichen Fähigkeiten, sozialer Kompetenz und im Sicherheitsdenken
zu sein, während Männer dazu neigen, stärker in Selbständigkeit, Dominanz, räumlichen
und mathematischen Fähigkeiten, rangbezogener Aggression und anderen Besonderheiten
zu sein». Wenn wir der Logik des Professors folgen, erklären unsere höheren «sprachlichen
Fähigkeiten», warum Frauen die literarischen Künste so lange dominiert haben, weit
und breit nicht ein Mann in Sicht. Ich bin mir sicher, Sie haben auch bemerkt, dass,
wenn die Titanen der zeitgenössischen Literatur erwähnt werden, in der akademischen
Welt ebenso wie in den Medien, die Zahl der Frauen unter ihnen ganz einfach überwältigend
ist.
    Ich schätze
mich glücklich, dass mein eigener (oder früher eigener) Boris nicht mit Dr. Sabbatini
übereinstimmen würde; bis über beide Ohren mit Ratten beschäftigt, wie mein Göttergatte
es ist, und der Evolution und den Genen zugetan, wie er es auch ist, weiß er, dass
Gene von der Umwelt bestimmt werden und dass das Gehirn plastisch und dynamisch
ist; es entwickelt und verändert sich mit der Zeit unter dem Einfluss dessen, was da draußen ist. Er weiß auch, dass Menschen trotz
unserer Gemeinsamkeiten keine Ratten sind und dass bei Menschen die höheren ausführenden
Funktionen entscheidend dafür sein können, was wir werden, und er weiß, dass gute
Wissenschaft von heute auf morgen schlechte Wissenschaft werden kann, so wie es
1982 auf die sensationelle Entdeckung zutraf, dass das Corpus Callosum, ebenjener
fibröse Verbinder der Hirnhälften des Dr. Bean, vor allem ein als Splenium oder
Balkenwulst bekannter Teil davon, bei Frauen tatsächlich grösser ist als bei
Männern. Diese Studie, deren Ergebnis binnen kurzem von Newsweek für die Massen herausposaunt wurde, behauptete nicht,
Frauen seien intellektuell überlegen (ein in der Menschheitsgeschichte noch nie
vorgebrachter Gedanke), sondern vielmehr, dass wir mit dem großen CC eine stärkere
Kommunikation zwischen den Hemisphären unserer Gehirne aufweisen, was in Newsweek der Einfachheit halber als «weibliche Intuition» übersetzt
wurde. Doch dann fand eine andere Studie über Koreaner und Koreanerinnen heraus,
dass das ärgerliche Ding bei Männern größer war. Koreaner müssen speziell sein.
Dann fand eine andere Studie keinen Unterschied heraus. Weitere Studien folgten:
etwas größer, etwas kleiner, ungefähr gleich, kein Unterschied. 1997 kamen Bishop
und Walsten, die Verfasser einer Übersicht über neunundvierzig Studien zum Corpus
Callosum, zu dem Schluss: «Der weitverbreitete Glaube, Frauen hätten ein größeres
Splenium als Männer und würden folglich anders denken, ist unhaltbar.» Huch. Aber
der Mythos ist immer noch in Umlauf. Ein Dummkopf, der eifrig seine eigene Sorte
von Pseudowissenschaft verbreitet, hat das CC als die «sorgende Membran des Gehirns»
tituliert.
    Es ist nicht
so, dass es keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen gäbe, es geht darum,
wie viel Unterschied dieser Unterschied ausmacht und wie wir damit umgehen wollen.
Jedes Zeitalter hatte seine Lehre von Unterschied und Gleichheit, seine Biologie,
seine Ideologie und seine ideologische Biologie, was uns endlich zu den bösen Mädchen,
ihren Eskapaden und den Werkzeugen der Finsternis zurückbringt.
    Wir haben mehrere
zeitgenössische Werkzeuge der Finsternis, aus denen wir wählen können, alle reduktiv,
alle einfach. Sollen wir den Unterschied mit dem sehr speziellen, wenn auch zweifelhaften
Anderssein des weiblichen Gehirns erklären oder mit den von jenen «in der Nähe
der Behausung Nahrung sammelnden Höhlenfrauen» vor Jahrtausenden herausgebildeten
Genen oder mit den gefährlichen Hormonwogen der Pubertät oder mit schändlichem sozialem
Lernen, das aggressive, wütende Triebe in den Untergrund der Mädchen kanalisiert?
Mit Sicherheit ist unsere Ashley, im Gegensatz zur Analyse unseres guten Doktors,
trotz ihres XX-Status hochgradig interessiert an «sozialer Dominanz» und «rangbezogener
Aggression», genauso wie meine ehemalige Freundin Julia, als ich in einer früheren
Ära in der sechsten Klasse war und einen auf meinem Pult liegenden Zettel auffaltete
und die aus ausgeschnittenen Zeitungsbuchstaben gebildeten Worte las: «Alle hassen
dich, weil du eine Riesenschwindlerin bist.» Und ich erinnere

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