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Hustvedt, Siri

Hustvedt, Siri

Titel: Hustvedt, Siri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Sommer ohne Maenner
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zweiter Hand können nicht passgenau zusammengefügt werden, aber das
Drama entfaltet sich, wenn nicht wie folgt, so doch sehr ähnlich, und da, wie wir
alle wissen, Darstellungen von Augenzeugen kaum zuverlässig sind, werden Sie diesen
Bericht so schlucken müssen, wie ich beschlossen habe, ihn wiederzugeben.
    Sechs angespannte
Mütter mit mürrischen, reizbaren Töchtern im Schlepptau verteilen sich im Wohnzimmer
der Wrights. (Ob jemand das große Plakat mit Goyas Priester aus dem Chicago Art
Institute, der in sechs Bildern einen Räuber besiegt, ansieht oder nicht, kann
ich nicht sagen, aber es ist ein bedeutendes Werk, sogar in der Reproduktion.) Ellen
Wright, die früher Sozialarbeiter ausbildete und jetzt in der Verwaltung der Gesundheitsklinik
von Bonden arbeitet, eröffnet das Forum mit einer kurzen Rede, in der sie das aktuelle
Wort der Wahl benutzt, um die fraglichen Ereignisse zu beschreiben: Mobbing. Sie erwähnt die Verbreitung des Phänomens, die möglicherweise nachhaltigen Schäden fiir die psychische Gesundheit, sie erwähnt, dass Mädchen gewiefter und hinterhältiger sind als Jungen
(Adjektive von mir) und dass diese Aktivitäten nicht von selbst aufhören; es braucht eine ganze Kleinstadt dazu. Ich bin nicht
verantwortlich für die abgenutzten Worte, die den Diskurs der Populärsoziologie
verunreinigen. Dann äußert Mrs. Wright den aufrichtigen Wunsch, zuhören, das Parkett
allen Akteuren überlassen zu wollen.
    Schweigen tritt
ein. Mehrere Augenpaare fixieren wütend die zwischen elterlichen Puffern sitzende
Alice.
    Mrs. Lorquat
von der missbilligenden Gottheit, die Mutter von Jessie, fragt sich laut, wie man,
wenn so viel von dem, was geschah, anonym erfolgte, wissen könne, dass ihre Jessie
überhaupt beteiligt war.
    Emmas Mutter,
Mrs. Hartley, stößt ihr Kind an, damit es etwas sagt. Nach ein paar weiteren Stößen
beichtet Emma mit rotem Gesicht SMS-Botschaften, die von einem kompletten Ensemble
zusammengereimt wurden.
    Und sie nennt
Namen: Jessie, Ashley, Joan, Nikki und sich selbst. Aber sie hatten es echt nicht so gemeint, es war bloß alberner Kinderkram.
    Nikki und Joan
melden sich abwechselnd mit kurzen Zwischenrufen zu Wort, die besagen, dass auch
sie nicht die Absicht hatten, jemandem wirklich Böses anzutun. Es war nur so, dass
Alice immer von Chicago sprach und immer Bücher las und sich besser aufführte als
sie, und deshalb hatten sie gedacht, sie wäre irgendwie eingebildet und so ...
    Mrs. Larsen,
Ashleys Mutter, die einen abgespannten, kleinlauten Eindruck macht, erkundigt sich
gutgläubig bei ihrer versteinert dreinblickenden Tochter: Aber ich dachte, du und Alice, ihr wärt so gute Freundinnen.
    Sind wir auch!
    Die sich unter
einer Lawine von Schuldgefühlen windende Peyton schreit das Wort Lügnerin und lässt Enthüllungen vom Stapel, die weder für Sie
noch für mich überraschend sind, während Mrs. Berg versucht, den Eifer ihrer Tochter
zu dämpfen, indem sie ruhig sagt: Hör auf zu schreien,
Peyton, aber Peyton schreit trotzdem, dass Ashley das Foto gemacht
und ins Internet gestellt hat, dass sie den Schwindel mit Zack vorgeschlagen hat
und dass sie, Peyton, mitgezogen habe und dass sie sich mies fühle, richtig mies. Aber Peyton ist noch nicht fertig.
Es gibt noch mehr. Peyton sagt, sie habe Angst gehabt, es weiterzusagen, sei in Panik gewesen, weil sie, Ashley, einen Club namens Hexenzirkel
gegründet hatte. Um der Gruppe beizutreten, erklärte sich jedes Mädchen bereit,
sich mit einem Messer zu schneiden und ausreichend zu bluten, um ihren Namen in
Blut auf ein Dokument schreiben zu können, in dem sie ihre Treue gegenüber den anderen
Mitgliedern schwor und versprach, ihr Bund würde für immer ein Geheimnis bleiben. Peyton weist eine kleine Narbe
auf dem Oberschenkel eines sehr langen linken Beines zum Beweis vor.
    Bei dieser
gruseligen Wende des Verfahrens, mit dem Anflug eines satanischen Rituals, geht
ein Ruck durch die Erwachsenen. Der arme Mr. Wright, ein Chemieprofessor, daran
gewöhnt, vorklinische Studenten durch die Höhen und Tiefen der Vorausberechnung
von Formeln mit mehratomigen Ionen zu geleiten, fühlt sich äußerst unbehaglich und
macht sich an eine intensive Untersuchung seiner Fingernägel. Mrs. Lorquat japst
nach Luft, da mit Blut geschriebene Dokumente Gott noch mehr beleidigen als D. H.
Lawrence. Nikkis und Joans Müttern, nebeneinandersitzenden lebenslangen Freundinnen,
klappt die Kinnlade herunter. Es folgt die entgeisterte Befragung von

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