Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hustvedt, Siri

Hustvedt, Siri

Titel: Hustvedt, Siri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Sommer ohne Maenner
Vom Netzwerk:
Folge: Lesen ist eine private Betätigung, die oft hinter verschlossenen
Türen stattfindet. Eine junge Dame könnte sich ja mit einem Buch zurückziehen, könnte
es gar in ihr Boudoir mitnehmen und dort, in ihre seidenen Laken zurückgelehnt,
die von der schriftstellerischen Feder hervorgerufene Erregung und Gänsehaut auf
sich einwirken lassen, und dabei könnte eine ihrer Hände, eine, die nicht unbedingt
vonnöten war, um das Büchlein zu halten, nach unten wandern. Kurzum, die Befürchtung
war einhändiges Lesen.
    Am Sonnabendnachmittag
um fünf traf sich der Rolling-Meadows-Lesezirkel in der Bibliothek bei kleinen Schnittchen
und noch kleineren Gläsern Wein, um über die Romanschriftstellerin Jane Austen zu
diskutieren, die Verfasserin von Überredung, eine ironische
Beobachterin, genaue Seziererin menschlicher Gefühle, überirdische Stilistin und
Erzählerin, die perverse Mönche zwar abgeschafft hatte, ihre eigene Version von
belohnter Tugend jedoch beibehielt. Geliebt und gehasst, hat sie ihre Kritiker
auf Trab gehalten: «Jede Bibliothek, die kein Buch von Jane Austen hat, ist eine
gute Bibliothek», sagte Amerikas literarischer Liebling Mark Twain, «auch wenn
sie kein anderes Buch enthält.» Carlyle nannte ihre Bücher «kläglichen Schund».
Doch auch heute noch wird sie der «Beschränktheit» und «Klaustrophobie» bezichtigt
und als Schriftstellerin für Frauen abgetan. Das Leben in der Provinz, nicht lesenswert?
Die Mühsal von Frauen, unwichtig? Es geht natürlich in Ordnung, wenn es Flaubert
ist. Mitleid mit den Dummköpfen.
    Sie erinnern
sich vielleicht, dass ich gebeten worden war, in die Veranstaltung einzuführen.
Nach einigem Redigieren hier und da und der Zähmung meiner Prosa vom Aufrührerischen
zum Genießbaren sowie zusätzlichem Gefasel über die zwischen zwei literarischen
Epochen hin und her schwankende und einen neuen Weg für den Roman erfindende große
Jane gibt Ihnen der obige Absatz eine Vorstellung von dem, was ich sagte, deshalb
soll es hier nicht wiederholt werden.
    Die diskussionsteilnehmerinnen : die drei
verbliebenen Schwäne: meine Mutter, bewaffnet mit einem Exemplar des besagten Buchs
voller Spickzettel; Abigail, die gekrümmter denn je und äußerst gebrechlich aussah,
in einer aufwendig mit Drachen bestickten Bluse; und die sanfte, gutmütige Peg mit
ihrer nach außen gekehrten heiteren Seite sowie drei Damen, die neu für mich waren:
Betty Petersen, mit spitzem Kinn und noch spitzerer Zunge hatte als Verfasserin
von scherzhaften Texten für eine Grußkartenfirma dazuverdient. Rosemary Snesrud,
einst Englischlehrerin für Achtklässler, und Dorothy Glad, die Witwe von Pastor
Glad, der früher der kleinen Kirche der Brüdergemeinde in der Apple Street vorgestanden
hatte.
    Das setting: zwei sich gegenüberstehende
Sofas mit dem alarmierend grün-violetten Muster eines wild wuchernden Blattwerks,
zwei weitaus weniger erregt aussehende Sessel, ebenfalls gegenübergestellt, und
alles zusammen arrangiert um einen langen ovalen Couchtisch auf einem labilen Fuß,
der bei jeder besonderen Beanspruchung ins Wanken geriet. Drei Fenster an der am
weitesten entfernten Wand mit Blick auf Garten und Gartenlaube. Regale mit Büchern,
die meisten träge auf der Seite liegend oder planlos gegen eine Stütze gelehnt,
aber insgesamt zu wenige, um sich das Substantiv Bibliothek zu verdienen. Die allgemeine Stille des Hauses nur von
quietschenden Roilatoren im nahen Flur und gelegentlichem Husten unterbrochen.
    Die S treitfrage : Hätte die
junge Anne Elliot von ihrem eitlen, törichten, liederlichen Vater, ihrer eitlen
und kalten Schwester Elizabeth und ihrer wohlmeinenden, lieben, aber höchstwahrscheinlich
irregeleiteten älteren Freundin Lady Russell überredet werden sollen, sich von
Captain Wentworth, in den sie wahnsinnig verliebt war, loszusagen, weil er nur Aussichten
hatte, aber kein Vermögen? Wie Sie bemerkt haben werden, betrachten Mitglieder von
Lesezirkeln Figuren in Büchern im Allgemeinen genauso wie Figuren außerhalb von
Büchern. Die Tatsache, dass die Ersteren aus Buchstaben und die Letzteren aus Muskeln,
Gewebe und Knochen gemacht sind, ist von geringer Bedeutung. Sie mögen denken, ich
missbilligte das, ich, die ich die fortlaufenden Prozesse der Literaturtheorie ertragen,
die linguistische Wendung genommen, den Tod des Autors miterlebt und irgendwie lafin de l'homme überlebt hatte, die ich ein hermeneutisches
Leben gelebt, in Aporien gestarrt, über differance

Weitere Kostenlose Bücher