Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hustvedt, Siri

Hustvedt, Siri

Titel: Hustvedt, Siri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Sommer ohne Maenner
Vom Netzwerk:
sagen, jene seien sämtlich von Männern geschrieben.»
«Vielleicht werde ich das - ja, ja, ich bitte Euch, bezieht Euch nicht auf Beispiele
in Büchern. Männer hatten jedweden Vorteil, ihre eigene Geschichte zu erzählen.
Ihnen ist Bildung in so viel höherem Grade zuteil geworden; die Feder war in ihrer
Hand. Ich werde nicht zulassen, dass Bücher etwas beweisen.»
     
    Natürlich befand
sich die Feder, die diese Worte niederschrieb, in Austens Hand, einer akkuraten
Hand zudem. Die Handschrift der Frau hatte die ganze Klarheit und Präzision ihrer
Prosa. Und die Feder, teure Leser, ist jetzt gewissermaßen in meiner Hand, und ich
nehme den Vorteil in Anspruch, setze sie mit mir selbst gleich, denn Sie werden
bemerken, dass das geschriebene Wort den Körper des Schreibenden verbirgt. Bei dem
wenigen, was Sie wissen, könnte ich ein verkleideter mann sein. Unwahrscheinlich,
sagen Sie, bei diesem überall hervorsprudelnden feministischen Geschwätz, aber
können Sie sicher sein? Daisy hatte am Sarah Lawrence College einen feministischen
Professor, ganz entschieden ein Mann, überdies verheiratet, mit Kindern und einem
Yorkie, auf den Barrikaden für die Frauen, ein edler Verteidiger des anderen Geschlechts.
Mia könnte, was Sie anbelangt, in Wirklichkeit Morton sein. Ich, Ihre ganz persönliche
Erzählerin, könnte eine pseudonyme Maske tragen.
    Aber zurück
zu unserer Geschichte. Nicht überraschend sind die Frauen von Rolling Meadows auf
Annes Seite. Sogar unsere Peg vom permanenten Sonnenschein gibt zu, dass es zu
Hause, mit ihren fünf «wunderbaren Kindern», Zeiten gab, in denen sie sich nach
etwas Abwechslung sehnte, in denen ihre Gefühle Jagd auf sie machten, und dann,
in einem Moment erschreckender Offenheit, gesteht die hauseigene Optimistin, es
habe Tage gegeben, an denen sie «ganz verdammt einsam und betrübt» gewesen sei,
und dass ihrer Erfahrung nach viel eher die Männer die Begabung hätten, Frauen zu
vergessen, als umgekehrt. Waren es nicht die Männer, die, nur Monate nachdem ihre
Frauen «dahingegangen» seien, wieder heirateten? (Ich unterdrückte die Bemerkung,
dass Boris nicht einmal mein Ableben abgewartet hatte.)
    Betty liefert
ein witziges Zitat: «Ich bin Frau. Ich bin unbesiegbar. Ich bin erledigt!»
    Gelächter.
    Rosemary vermerkt
die Ausnahme von der Regel von den wartenden, schmachtenden, hoffenden Frauen: Regina.
    Kichern.
    Meine Mutter
springt dem Mit-Schwan bei. «Sie hatte doch aber Spaß!»
    Abigail nickt,
sieht meine Mutter liebevoll an und sagt mit lauter, wenn auch heiserer Stimme:
«Wer sagt denn, wir hätten nicht alle mehr Spaß haben sollen!»
    Wer sagt das
denn? Ich mit Sicherheit nicht. Auch nicht meine Mutter noch Dorothy, noch Betty,
noch Rosemary, nicht einmal Peg, obwohl diese heiter einwirft, sie hätten doch Spaß,
nicht wahr, jetzt eben, in «dieser Minute»? Und tatsächlich hellt das Gefühl von carpe diem den ganzen Raum auf, wenn nicht buchstäblich,
dann bildlich.
    Daraufhin wurde
erfreut genickt, still genippt, und es gab einige Berührungslinien zu dem Film,
der um sieben im Vorführraum gezeigt werden sollte, Es geschah in einer Nacht, gefolgt von einigem Schmachten nach
Clark Gable und Geplauder darüber, wie viel besser Filme früher waren und, heiliger
Strohsack, was denn da nur geschehen sei? Ich wagte die These, dass Hollywood-Filme
heutzutage ausschließlich für vierzehnjährige Jungen gemacht würden, ein Publikum
von begrenzter Differenziertheit, wodurch den Filmen jede Hoffnung auf spritzige
Dialoge entzogen werde. Furze, Kotze und Samen hätten deren Platz eingenommen.
    Dann setzte
ich mich neben Abigail und hielt eine Weile ihre Hand. Sie bat mich, sie zu besuchen.
Das Ersuchen war nicht beiläufig. Sie hatte etwas Dringendes mit mir zu besprechen,
und es musste in den nächsten Tagen sein. Ich versprach es, und Abigail begann mit
den langwierigen Unbilden, ihren Rollator heranzuziehen, sich aufzurichten und dann
zu bewegen, einen sorgfältigen kleinen Schritt nach dem anderen hin zu ihrer Wohnung.
    Innerhalb weniger
Minuten war der Lesezirkel vorbei. Und er hatte geendet, ehe ich sagen konnte, dass
es kein menschliches Thema außerhalb der Reichweite der Literatur gebe. Ich brauche
nicht in die Geschichte der Philosophie einzutauchen, um darauf zu bestehen, dass
es in der Kunst keine regeln gibt und keine Chance für Schwachköpfe
und Blödmänner, die an Regeln und Gesetzen und verbotenen Bereichen festhalten,
und keinen Grund für eine

Weitere Kostenlose Bücher