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Hustvedt, Siri

Hustvedt, Siri

Titel: Hustvedt, Siri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Sommer ohne Maenner
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gerätselt und
mir über sein im Gegensatz
zu Sein Gedanken gemacht
hatte, ganz zu schweigen vom kleinen a dieses verschwurbelten
Franzosen contra sein großes sowie von einer Masse zusätzlicher intellektueller
Knoten und Falten, die ich im Laufe meines Lebens aufknüpfen und glätten musste,
aber da würden Sie sich irren. Ein Buch ist eine Zusammenarbeit von demjenigen,
der liest, und dem, was gelesen wird, und bestenfalls ist dieses Zusammentreffen
eine Liebesgeschichte wie jede andere. Zurück zur anstehenden Kontroverse:
    Peg sieht es
optimistisch: Da Anne ihren Wentworth am Ende bekommt, ist alles gut.
    Abigail ist
strikt dagegen: «Vergeudete Jahre! Wer hat Zeit, Jahre zu vergeuden?» Eine unverrückbare
Feststellung, gefolgt vom Einknicken des Tischs. Ein Glas rutscht. Wird von Rosemary
Snesrud gepackt. Fällt nicht.
    Unbehagliches
Schweigen «vergeuden» betreffend, mein eigenes Schweigen inmitten dessen der anderen,
ein fragendes Schweigen über vergeudete Jahre, über das Nichtgetane, das Nichtgeschriebene.
    Dorothy Glad
speist eine außerliterarische, gar nicht gute Möglichkeit ein: «Er hätte auf See
ertrinken können! Dann hätte sie niemals die Liebe erlebt!»
    Ich schlage
vor, beim Text selbst zu bleiben, so, wie er geschrieben wurde, ohne diesen speziellen
Schiffbruch.
    Meine Mutter
hält einen imaginären Maßstab hoch, wägt familiäre Pflicht gegen Leidenschaft ab.
Stellt euch den Kummer vor, seine Familie gegen sich aufzubringen. Das muss auch
berücksichtigt werden. Es gab für Anne keine einfache Lösung. Für die mutterlose
Anne war ein Bruch mit Lady Russell so viel wie ein Bruch mit ihrer Mutter.
    Rosemary S.
verteidigt meine Mutter. Gemäß
der Snes-rud-Philosophie bleiben Lebensentscheidungen an einem «kleben».
    Betty Petersen
bringt den widerwärtigen Cousin Elliot aufs Tapet, der die Baronswürde erben soll:
«Womöglich hätte sie diese falsche Schlange geheiratet, wenn ihre Freundin, wie
heißt sie nochmal, sie nicht über ihn aufgeklärt hätte. Lady Russell hatte ja keinen
Schimmer davon.»
    Abigail besteht
mit wachsender Gereiztheit darauf, dass es einen deformiert, wenn man sein Begehren
mit Füßen tritt. Begleitet von einem schwachen Schlag auf den Tisch, stellt sie
eine starke Behauptung auf: «Das verstümmelt die Seele!» Der Tisch nickt bejahend,
aber Peg schnalzt mit der Zunge. Das Reden von Verstümmelung dämpft den Optimismus.
    Meine Mutter
mustert ihre Freundin Abigail nüchtern, und ihr wird klar, dass es nicht Annes Seele
war, die verstümmelt wurde. Die gebeugte Abigail zittert richtig. Ich bemerke,
dass ihre Arme unter der Drachenbluse Haut und Knochen sind. Mich befällt die irrationale
Sorge, die Heftigkeit ihrer Gefühle könnte ihr hinfälliges Skelett bis zur Bruchgrenze
erschüttern, und ich lenke das Gespräch auf Männer und Frauen und das Problem der
Beständigkeit, das mir am Herzen liegt. Was halten die Diskussionsteilnehmerinnen
von Annes Meinung über Frauen und Männer in ihrem Gespräch mit Captain Harville?
     
    «Ja, wir vergessen
Euch gewiss nicht so bald, wie Ihr uns vergesst. Es ist wohl eher unser Los als
unser Verdienst. Wir leben ruhig, an das Haus gebunden, und sind unseren Gefühlen
ausgeliefert. Ihr seid zu Betätigung gezwungen. Ihr habt stets einen Beruf, Bestrebungen,
das eine oder andere Geschäft, die Euch sogleich danach in die Welt zurückversetzen,
und ständige Tätigkeit und steter Wechsel schwächen alsbald die Eindrücke.»
     
    Außer mir war
keine einzige Frau im Raum unter fünfundsiebzig. Die beiden Lehrerinnen, drei Hausfrauen
und die Teilzeitgrußkartenwitzemacherin waren zwar alle im Land der unbegrenzten
Möglichkeiten geboren, aber diese Möglichkeiten waren stark abhängig vom Gepräge
ihrer Weichteile. Ich erinnerte mich an die Worte meiner Mutter: «Ich habe immer
gedacht, ich würde weiterstudieren und wenigstens den Master machen, aber ich hatte
so wenig Zeit und nicht genug Geld.» In mir stieg ein plötzliches Bild von meiner
Mutter mit ihrer Französischgrammatik am Küchentisch auf, wie ihre Lippen sich
bewegten, während sie stumm die Konjugationen der Verben aufsagte.
    Harville zückt
die schweren waffen , um Anne zu widerlegen, wenn auch
auf höchst zivile Weise:
     
    «Ich glaube
nicht, dass ich in meinem Leben jemals ein Buch aufschlug, worin nicht von der Unbeständigkeit
der Frauen die Rede war. Lieder und Sprichworte, alle sprechen von der Flatterhaftigkeit
der Frauen. Doch vielleicht werdet Ihr

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