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Hustvedt, Siri

Hustvedt, Siri

Titel: Hustvedt, Siri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Sommer ohne Maenner
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meine häuslichen Gewohnheiten
oder deren Fehlen (sprich: Aschenbecher randvoll mit
Zigarrenstummeln, Stapel kürzlich gelesener Zeitschriften wie Nature, Science,
Brain, The Genetics Weekly an jedem freien
Platz der Wohnung, auf den Boden geworfene Kleidung. Sprich auch: Behauptet trotz
seiner drei Doktorate, er sei unfähig, mit der Technologie von Spül- und Waschmaschine
oder Trockner zurechtzukommen). Ich sah sie schließlich als jemanden,
den ich von weitem idealisiert hatte, und ich vermute, dass es ihr nicht anders
erging. (Das Reale wird nicht mehr vom Irrealen
verdeckt.) Zusammenarbeiten und zusammenleben ist etwas anderes. (Und ob, Bubele.) Ich möchte Dich sehen, Mia, und mit
Dir sprechen. Ich vermisse Dich. Heute Abend gehe ich mit Daisy essen. Boris
     
    Ich schloss
daraus, dass die Realität entweder mit A, B oder D übereinstimmen musste. Sowohl
C als auch X schienen eliminiert zu sein.
    Wenn Ihnen
diese kleine Epistel im Lichte dessen, was geschehen war, unangemessen emotional
vorkommt, kann ich zwar nicht widersprechen, aber Sie haben ja auch nicht dreißig
Jahre mit dem Mann zusammengelebt. Boris ist grundehrlich. Ich wusste, jedes Wort,
das er geschrieben hatte, war sowohl durchdacht als auch wahrhaftig, aber ich wusste
auch, dass der Mann zu einem einigermaßen hölzernen Gehabe neigt. Bei manchen Menschen
verweist das auf einen darunterliegenden echten Mangel an Gefühlen, aber auf Boris
trifft das nicht zu. Der ganze Brief dreht sich um drei Sätze: «Es war eine dunkle
Phase für mich», «Ich habe sogar Bob angerufen» und «Ich vermisse Dich».
     
    Boris, ich
vermisse Dich auch, antwortete ich. Dein Brief ist jedoch vage in Hinblick darauf,
wer wen verlassen hat. Du wirst verstehen, dass das von meiner Warte aus wichtig
ist. Wenn die Pause Dich auf die Straße gesetzt und dieser Akt eine Neueinschätzung
Deiner Ehe verursacht hat, dann unterscheidet sich das erheblich von der Alternative,
dass Du entschieden hast, sie zu verlassen, nachdem Du Deine Beziehung mit ihr aufgrund
Deiner vorherigen Beziehung zu mir überdacht hast. Beides unterscheidet sich wiederum
von einer einvernehmlichen Entscheidung, getrennte Wege zu gehen. Mia
     
    (Wenn er nicht
bereit war, «In Liebe» zu schreiben, würde ich den Teufel tun, mich zu diesem höllisch
heiklen Substantiv hinreißen zu lassen.)
    Aufregung kommt
gewöhnlich in Eile daher. Unruhe in der einen Ecke wird oft von einem ähnlichen
Tumult in einer anderen Ecke widergespiegelt. Dafür gibt es keinen ersichtlichen
Grund. Korrelation ist nicht gleich Ursache. Es ist einfach die «Musik des Zufalls»,
wie ein prominenter amerikanischer Romancier es einmal ausgedrückt hat. Langen,
trägen, ereignislosen Phasen folgen plötzliche Ausbrüche von Action, und so kam
es, dass am selben Morgen nach Petes quietschendem Abgang von Frau und Kindern drüben
in Rolling Meadows eine andere, ebenso dramatische Abreise stattfand, von der ich
im Verlauf des täglichen Besuchs bei meiner Mutter erfuhr. Regina war in den Damensalon
gegangen, um ihr langes Haar «professionell hochstecken» zu lassen, hatte zwei Koffer
gepackt, die drei Schwäne angerufen, um ihnen mitzuteilen, dass sie ihre Einkerkerung
im Heim nicht länger ertragen konnte, und war dann, nachdem sie ihre Wohnungstür
hinter sich zugeschlagen hatte, schnell den Korridor entlangmarschiert (beziehungsweise
so schnell, wie ihr anfälliges Bein es erlaubte). Meine Mutter und Peg (Abigail
war unpässlich) hatten die Fliehende bis zur Haustür verfolgt, wo sie sie ins Kreuzverhör
nahmen, was in Gottes Namen sie denn im Schilde führe. Ihre drei Töchter hatten
ihr geraten zu bleiben. Mit Nigel hatte sie doch Schluss gemacht, oder, nach der
Geschichte mit der goldenen Uhr und der vollbusigen Bardame? In Sekundenschnelle
kamen sie zu dem Schluss, dass Regina keine Ahnung hatte, wohin sie unterwegs war.
Ihre Flucht war reine Flucht, das heißt Flucht ohne Ziel. Außerdem hatte sie von
Dr. Westerberg gefaselt, der sie angeblich bedroht hatte, und wenn sie nicht «wegliefe»,
würde er sie «beiseiteschaffen», davon war sie überzeugt. Eine Viertelstunde später
hatten meine Mutter und Peg Regina in ihre Wohnung zurückgelockt. Es folgte eine
tränenreiche Szene, aber am Ende schien sie sich in ihr Schicksal ergeben zu haben
und hatte ihren Freundinnen versprochen, an Ort und Stelle zu bleiben.
     
    Nur wenige
Stunden bevor ich kam, hatte meine Mutter an Reginas Tür geklopft, um zu sehen,
in welchem

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