Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hymne an Die Nacht

Hymne an Die Nacht

Titel: Hymne an Die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Madsack
Vom Netzwerk:
wäre er Joanna doch nie begegnet! Denn auch jetzt noch, voller Hass, weil sie ihn vor den anderen Vampiren lächerlich gemacht hatte, begehrte er sie in einer Weise, die er nicht verstand.
    Wie eine Erscheinung aus einer anderen Galaxie war sie an jenem Abend in seiner Diskothek aufgetaucht, und er würde jederzeit beschwören, dass das »Dark Side«, der angesagteste Laden an der ganzen Costa del Sol, nie heller erstrahlt war als in dem Moment, als sie vor ihm gestanden hatte. Etwas in ihm hatte gezittert beim Anblick dieses Mädchens, das so anders war als die vielen, immer gleichen jungen Frauen, mit denen er sonst zu tun hatte.
    Kyrill Koslov löschte die Schreibtischlampe. Er saß im Dunkeln, nur ein paar Lichter von draußen drangen noch zu ihm. Eine Weile starrte er grübelnd vor sich hin. Bis er mit beiden Händen auf die Schreibtischplatte schlug, deren Holz unter dem Aufprall vibrierte.
    »Aber natürlich«, knurrte er zwischen den Zähnen. Er musste sie suchen, und jetzt wusste er auch, wo er sie finden würde.

Zwei
    Joanna schob ihr Gepäck an dem Zollbeamten vorbei und trat in die Ankunftshalle des Flughafens von Bukarest. Hinter der Absperrung wurden Schilder mit Logos von Reiseveranstaltern, Mietwagenagenturen und internationalen Firmen hochgehoben. Sie starrte in dunkle, kantige Physiognomien, zog den Schal fester um die Schultern und steuerte ihr vollgepacktes Wägelchen durch die Ausgangstür. Draußen blieb sie stehen und atmete die Herbstluft ein, die sich feucht und schwer auf ihre Bronchien legte.
    Ein Mann um die dreißig, schmal und mittelgroß, ging mit raschen Schritten auf sie zu. Seine Züge wirkten knabenhaft, zugleich verriet die Art, wie er sie ansprach, etwas unerwartet Weltläufiges.
    »Joanna Bedford? Ich bin Tomas, Tomas Begoly«, sagte er in fast akzentfreiem Englisch, »willkommen in Bukarest. Ich soll mich während Ihres Aufenthalts um Sie kümmern, bis Graf Stanislaw von Lugosy eintrifft. Hatten Sie eine gute Reise?«
    »Ja, aber es war ein langer Flug von Malaga bis hierher.« Sie erwiderte seinen Händedruck, der sich fest und warm anfühlte. »Danke, dass Sie mich abholen. Aber … verstehen Sie das jetzt nicht falsch … würden Sie sich bitte ausweisen? Mir wurde zwar Ihr Name genannt, aber schließ- lich kenne ich Sie nicht.«
    Ohne Eile zog er aus der Innentasche seines schwarzen Lumberjacks eine Identitätskarte hervor, die sein Foto und seine Unterschrift zeigte.
    »Zufrieden?«
    »Nun … es wurde auch vereinbart, dass Sie mir ein Kennwort nennen.«
    Seine Augenbrauen hoben sich kaum merklich, doch er sagte, was sie zu hören erwartet hatte. Dann siegte ihre Neugier. »Was ist mit Ihnen, woran haben Sie mich erkannt?«
    »Sie wurden mir beschrieben. Wenn es Ihnen recht ist, bringe ich Sie jetzt zum Wagen.«
    Über einen holperigen Weg, in dem sich ihre Absätze verfingen, folgte sie ihm zum Parkplatz. Vor einem Geländewagen deutschen Fabrikats blieb er stehen, verstaute das Gepäck im Kofferraum und half ihr beim Einsteigen. »Sind Sie bereit?«
    Sie stutzte einen Moment, dann setzte sie sich auf den Beifahrersitz und legte den Sicherheitsgurt an. Der Wagen wirkte innen ebenso gepflegt wie das schwarz glänzende Äußere, und als Tomas losfuhr, begann sie sich ein wenig zu entspannen.
    »Wenn Sie etwas wissen möchten, fragen Sie mich einfach. Im Moment überlasse ich Sie erst mal Ihren Eindrücken.«
    Sie nickte und sah aus dem Fenster, während sie sich in den Verkehr einer Stadtautobahn einfädelten. Die Trostlosigkeit der Plattenbauten, an denen sie vorbeifuhren, verstörte sie.
    »Kein so schöner Anblick für jemand aus dem Westen, aber die Menschen, die dort wohnen, sind nicht so unglücklich, wie Sie vielleicht glauben«, sagte er in beiläufigem Ton.
    Sie wandte ihm das Gesicht zu, während sein Blick weiterhin auf die Straße gerichtet blieb. »Zu Zeiten von Ceaus¸escu wurde die Temperatur in diesen Gebäuden von Staats wegen auch im Winter auf vierzehn Grad Celsius eingestellt«, sagte er, »denn der Diktator wollte sein Land mit aller Macht von Schulden freihalten, und da wurde vor allem bei seinem Volk gespart. Haben Sie eine Ahnung davon, wie froh die Menschen sind, dass sie in ihrem Zuhause zumindest nicht mehr frieren müssen?«
    Statt einer Antwort fragte sie: »Woher kommen Sie, Tomas?«
    »Ich bin ungarischer Abstammung, und ich unterrichte Geschichte und Geografie an der Universität von Klausenburg, das ist eine Stadt im nördlichen Teil von

Weitere Kostenlose Bücher