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Hymne der demokratischen Jugend (German Edition)

Hymne der demokratischen Jugend (German Edition)

Titel: Hymne der demokratischen Jugend (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serhij Zhadan
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Monika
    Beziehungen werden von Vertrauen getragen. Also zum Beispiel, du vertraust Gott dem Herrn, sagst zu ihm, okay, Herr, ich vertraue dir, nur dir allein, hier hast du meine letzten fünf Dollar, setze du sie. Der Herr nimmt deinen Fünfer, sagt du sollst einen Moment warten, und verpulvert die ganze Knete gleich beim ersten Spiel, ohne auch nur eine theoretische Chance, sie zurückzugewinnen. Das ist vielleicht nicht gerade das beste Beispiel, aber egal. Aus unerfindlichen Gründen vertrauen die Menschen einander oft nicht, drehen sich im entscheidenden Moment einfach weg, schlafen ein und schauen in die farbige Finsternis ihrer Alpträume. Vertrauen aber zwingt dich, auf das individuelle Anschauen von Träumen zu verzichten, Vertrauen ist überhaupt eine tückische Sache, es blättert dich auf wie ein Pornoheft, an der peinlichsten Stelle, und jetzt versuch mal zu erklären, was du wolltest und wie. So wird Vertrauen zur Belastung, und deine Nächsten entfernen dich aus ihrem Leben, wie man die Fäden einer genähten Wunde zieht. Deshalb gibt es kaum noch echte Beziehungen, auf einmal sind an die Stelle der guten alten heterosexuellen Verbindungen Firmenfeten getreten, und wenn du nicht zur Firma gehörst, dann hast du hier nichts zu suchen, die neue, harte Realität kommt auch ohne dich aus, geh heim und hock dich vor die Glotze. Wie oft habe ich zwei Leute gesehen und gedacht: alles in Ordnung, die können es schaffen, sie sehen gut aus, sind ein schönes Paar und werden schöne Kinder haben,und wenn sie keine Kinder haben, geht’s auch niemandem schlechter davon, Hauptsache, sie vertrauen einander, gehen nicht voreinander in Deckung wie Schwergewichtler im Ring und können über alles mögliche reden, über ihre geheimen Wünsche, auch wenn diese Wünsche immer auf dasselbe hinauslaufen, wie das nun mal so ist. Aber die Zeit vergeht, und wieder die alte Geschichte – Kommunikationspausen, angestrengte Gespräche, moralische Prinzipien, die wer weiß woher kommen und irgendwohin wieder verschwinden, alles wie gehabt – sie sitzen in einem Zimmer, zu beiden Enden desselben Bettes, und fügen sich tiefe, schmerzhafte Schnitte zu, dabei beobachten sie, wessen Schnitt tiefer und schmerzhafter ist. Gemartert trennen sie sich, lecken ihre Wunden, versuchen um jeden Preis, sie zu heilen, auch nicht die geringste Erinnerung soll zurückbleiben, und wenn sie sich zufällig einmal wiedersehen, dann in der U-Bahn, sie haben immer noch dieselbe Richtung. Nach und nach übernimmt die Firma die Reste ihrer Psychose, und auch du verstehst langsam – die Freude an kollektiver Arbeit ist viel attraktiver als individuelles Verliebtsein, und sei es nur, weil man sie immer mit den Kollegen teilen kann. Versuch doch mal, mit den Kollegen deine Leidenschaft zu teilen, versuch, einer Gruppe von Verkaufsleitern zu erzählen, wie ihre Haut nachts im Mondlicht schimmert und daß ihre Schlüsselbeine, wenn sie gegen Morgen endlich erschöpft einschläft, wie Dünen scharf hervortreten, erzähl das nur den Verkaufsleitern, sie werden dich verfluchen und den Firmenbann über dich verhängen, bei der nächsten Firmenfete wirst du gegrillt, und mit deiner herausgerissenen Leber spielen sie Fußball – Abteilung gegen Abteilung. Es ist die Freude kollektiver Arbeit, die dir hilft,mit deiner Depression fertig zu werden, und wenn du damit fertig bist, schaust du aus dem Fenster deines Büros, auf die herbstlichen Bäume, auf ihre vertikalen, klar gezeichneten Linien, und plötzlich wird dir bewußt, es ist wieder Herbst geworden, die Luft erwärmt sich nur noch langsam, und die Bäume stehen streng und asketisch da, du schaust auf das alles, und melancholisch denkst du, daß es sich in so einem Büro gut arbeiten läßt, daß man in so einem Herbst gut nachdenken und sich an solchen Bäumen gut aufhängen kann.
    Ich habe einen Kumpel, er heißt Kaganowitsch, juristische Beratung, Rechtsschutz, und ihm ist folgendes passiert. Seine Freundin war der Meinung, es sei an der Zeit, ihre Beziehung auf eine feste Grundlage zu stellen, sie waren doch schon drei Monate zusammen, und nichts passierte außer Sex im Suff. Nicht daß ihnen das nicht gefallen hätte, sie schlug einfach plötzlich vor, zu ihm zu ziehen, wie das so geht, eines Morgens mußte er schnell weg, und weil er nur einen Schlüssel hatte, half er ihr beim Anziehen. Morgens zog sie sich nicht gerne an, vielmehr sie zog sich überhaupt nicht gerne an, aber morgens war gar nicht

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