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Hymne der demokratischen Jugend (German Edition)

Hymne der demokratischen Jugend (German Edition)

Titel: Hymne der demokratischen Jugend (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serhij Zhadan
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schlimmsten war es morgens, wenn Kaganowitsch dringend irgendwohin mußte, ihr etwas sagte, sie um etwas bat oder ihr Vorwürfe machte. Dann schrie sie wütend los und stieß Drohungen aus, rannte durch das Zimmer und packte entschlossen ihre Sachen, lief ins Bad, raffte Zahnbürsten und Einwegrasierklingen zusammen und stopfte sie in die Taschen ihrer Armeehosen, griff sich ihre Tampaxe und feuerte sie auf Kaganowitsch, rück meine Zahnbürste raus, sagte er, aber sie zeigte ihm den Stinkefinger und lief aus dem Bad, wühlte im Bett und förderte den dritten Band des Konversationslexikons zutage, förderte Zeitungen, Wäsche und Schuhe zutage, habe ich echt auf diesem ganzen Kram geschlafen, dachte Kaganowitsch, sie krabbelte auf die andere Seite des Betts und zog ihren geliebten Aschenbecher in Elvis-Form darunter hervor, schau, schrie sie, Elvis nehm ich mit, dein Elvis ist ein amerikanisches Arschloch, antwortete er, worauf sie triumphierend die Kippen ins Bett rieseln ließ und Elvis in ihren Rucksack packte, und das nehm ich auch mit, sie lief in die Küche und belud den Rucksack mit dem Fön und den Gabeln, mit Kassetten und dem Jagdmesser, dem angefangenen Wodka und mit warmen Augustäpfeln, dann lief sie zurück ins Zimmer und raffte alles zusammen, was ihr unter die Augen kam, zum Beispiel die Telefonbücher,die sie vorher aus irgendeinem Grund angeschleppt hatte, sie versuchte, die Telefonbücher in den Rucksack zu stopfen, aber der Rucksack war schon mit Wäsche und Äpfeln prall gefüllt, also holte sie hektisch Elvis wieder heraus und gab ihn Kaganowitsch zu halten, schaffte es dann doch, die Telefonbücher in den Rucksack zu stopfen, und rannte Verwünschungen geifernd ins Treppenhaus. Kaganowitsch ging ihr nach, absichtlich ohne sich umzusehen, rannte sie die Treppen hinunter, hey, rief er, du hast dein amerikanisches Arschloch vergessen. Sie hielt an, erstarrte für einen Moment, dann kehrte sie plötzlich um, schnappte sich den Aschenbecher, fuchtelte drohend damit in der Luft herum und rannte zur Straßenbahnhaltestelle.
    Die Firma, das ist wie die Anonymen Alkoholiker – sie heilt nicht, aber durch sie verstehst du, daß du nicht der einzige bist, der in der Scheiße steckt. Die Philosophie der Firma bezieht sich oberflächlich betrachtet nur auf das Professionelle. In Wirklichkeit aber läßt die Firma dich nicht los, auch wenn du gar nicht an sie denkst, aber versuch nur, nicht an sie zu denken, und sie zerdrückt dir den Brustkorb an der empfindlichsten Stelle. Der Geschmack der Firma haftet an deinen Fingern, wenn du vom Meeting zurückkommst, ihr Geruch durchdringt den Stoff deiner Kluft, die Firma ergießt sich als Kaffee auf deine Finanzpläne, zerfrißt als gelber Industriekaries deine Schneidezähne, schiebt sich unter deine Haut wie im März Wasserleichen unter geborstene Eisschollen – du trägst sie mit dir, Tag für Tag, Nacht für Nacht, von der Werkshalle zur Sparkasse, vom Bahnhof ins Stadion, die Firma verfolgt dich, sie bestimmt dein soziales Verhalten, du hustest sie mit Blut vermischt nach einer nächtlichenPrügelei aus, preßt sie beim morgendlichen Sex mit dem Schweiß aus dir heraus, bei Gesprächen sitzt die Firma in deiner Kehle, zerfällt beim Husten, nimmt dir beim abendlichen Joggen den Atem, hinter jedem deiner Schritte steht die Firma, hinter jeder deiner Taten blitzt die Philosophie deiner Firma auf, mit jedem deiner Worte wiederholst du die Vereinbarungen deines Arbeitsvertrags, den du um jeden Preis verlängern willst. Die Firma ersetzt konkrete kultische Handlungen, die Firma macht dich zu einem Menschen, der keine Angst hat, aufzustehen und dem Arbeitsplan ins Auge zu sehen, die Firma lehrt dich, deine Sachen sorgfältig um dich herum anzuordnen, damit man sich in der Herbstdämmerung nicht daran stößt, die Firma stattet deine persönliche Zelle aus und gibt ihr ein mehr oder weniger zivilisiertes Aussehen, soweit dir das als Mitarbeiter zusteht. Die Firma als Kirche rettet die Seelen hoffnungsloser Sünder, die in der Hölle schmoren müßten, wären da nicht ihre Gewerkschaftsausweise, die sie dem heiligen Petrus am Fabriktor zeigen, so daß der Alte sie einfach passieren lassen muß zum jenseitigen, himmlischen Fließband, denn die Firma umfaßt alles, die Firma überwindet die Dialektik und ihren kurzsichtigen Materialismus, die Firma besiegt den Tod mit dem Tod, denn Tod am Arbeitsplatz – das ist der Beginn einer guten Karriere, ob ihr es glaubt oder

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