Hymne der demokratischen Jugend (German Edition)
hinter sich zu und verschwand. – Wasist los? – fragte Sanytsch. – Ach, seine Mutter, – lachte Busja, – die alte Bohnenstange. Nervt den Doc dauernd, will, daß er mich abserviert, macht rüber zur Nachbarin und ruft von dort an. Aber der Doktor bleibt standhaft. Auf seine Gesundheit! – Busja rückte näher an Sanytsch heran. – Hör mal, Busja, – sagte Sanytsch nach einigem Überlegen, – ich wollte dich was fragen. Du und der Doktor, ihr seid schwul, oder? – Also ... – begann Busja unsicher. – Also okay, schwul, – unterbrach ihn Sanytsch. – Und ihr lebt zusammen, oder? Also offensichtlich liebt ihr euch, wenn ich das richtig verstehe. Aber eins mußt du mir erklären – physiologisch, wie soll ich sagen, physiologisch fühlt ihr euch wohl miteinander? – Physiologisch? – Busja verstand nicht. – Ja, physiologisch halt, also wenn ihr zusammen seid, fühlt ihr euch wohl? – Warum fragst du? – Busja war verlegen. – Also entschuldige, natürlich, – antwortete Sanytsch, – wenn es etwas Intimes ist, brauchst du es nicht zu sagen. – Aber nein, nicht doch, – Busja wurde noch verlegener. – Verstehst du, Sascha, die Sache ist die, im Prinzip ist das gar nicht so wichtig, also ich meine das Physiologische, verstehst du mich? Die Hauptsache ist etwas anderes. – Und was? – fragte ihn Sanytsch. – Die Hauptsache ist, daß ich ihn brauche, verstehst du? Und er braucht mich, glaube ich. Wir verbringen unsere ganze Zeit miteinander, lesen, gehen ins Kino, joggen morgens zusammen – du weißt doch, daß wir joggen? – Nein, keine Ahnung, – sagte Sanytsch. – Wir joggen, – versicherte Busja. – Und das Physiologische, eigentlich gefällt es mir gar nicht, also, verstehst du, wenn wir zusammen sind. Aber das habe ich ihm nie gesagt, wollte ihn nicht kränken. – Warum ich frage, – sagte Sanytsch. – Ich habe eine Bekannte, super Frau, nur daß sie viel trinkt. Einmal haben wir miteinandergeschlafen, kannst du dir das vorstellen? – Also weißt du, – sagte Busja unsicher. – Und siehst du, bei mir genau dasselbe – es ging mir gut mit ihr, sogar ohne Sex, verstehst du? Sogar wenn sie betrunken war, und betrunken war sie immer. Und jetzt ist sie ab in die Türkei, kannst du dir das vorstellen? Und ich verstehe einfach nicht – was ist hier die Moral, warum kann ich, ein normaler, gesunder Kerl, nicht einfach mit ihr zusammen sein, warum haut sie ab in die Türkei, und ich kann sie nicht mal aufhalten. – Ja, – antwortete Busja nachdenklich. – Also, – Sanytsch betrachtete ihn. – Ich habe gedacht, daß wenigstens bei euch Schwulen alles okay ist. Und bei euch genau derselbe Scheiß. – Mhm, – stimmte Busja zu, – genau derselbe. – Na, dann werd ich mal, – sagte Sanytsch. – Grüß mir den Doc. – Warte, – Busja hielt ihn zurück. – Warte einen Moment. – Und lief in die Küche. – Da, nimm, – sagte er, als er zurückkam, und hielt Sanytsch ein Päckchen hin. – Was ist das? – fragte Sanytsch. – Kuchen. – Kuchen? – Ja, Apfelkuchen. Den hat Doktor gebacken, extra für mich. Überhaupt, weißt du, da hast du von Sex geredet. Aber es gibt einfach Sachen, da muß ich weinen. Dieser Kuchen zum Beispiel. Ich weiß doch, daß er ihn extra für mich gebacken hat. Wie könnte ich ihn da verlassen? Weißt du, ich hatte einen Bekannten, der hat mir erklärt, was der Unterschied ist zwischen Sex und Liebe. – Was denn? – fragte Sanytsch. – Also, grob gesagt – Sex ist, wenn ihr fickt, und danach willst du, daß sie so schnell wie möglich abhaut. Liebe dagegen, wenn ihr fickt und du nach dem Fick willst, daß sie so lange wie möglich bleibt. Hier, nimm, – er hielt Sanytsch das Päckchen hin. – Wie, – sagte Sanytsch nachdenklich, – und das ist die Moral? – Quatsch, überhaupt keine Moral. Bloß ein Stück Kuchen.
Er ging zur Bushaltestelle. Auf dem Weg schloß sich ihm ein Hund an. So gingen sie – vorne Sanytsch mit dem Kuchen, dahinter der Hund. Um sie herum wuchs die warme Augustdämmerung. Sanytsch kam zur Haltestelle, setzte sich auf die Bank und wartete. Der Hund setzte sich ihm gegenüber. Sanytsch betrachtete ihn lange. – Okay, – sagte er, – Bello, heute ist dein Tag. Zu Ehren des internationalen Tags der Solidarität von Schwulen und Lesben gibt es Kuchen! – Der Hund leckte sich zufrieden die Schnauze. Sanytsch nahm das Päckchen und brach den Kuchen. Fast genau in zwei Hälften.
Ballade von Bill und
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