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Hymne der demokratischen Jugend (German Edition)

Hymne der demokratischen Jugend (German Edition)

Titel: Hymne der demokratischen Jugend (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serhij Zhadan
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unter einen Raupenbagger zu kommen, versuch doch, danach wieder aufzustehen, wenn du kannst. Mich fanden die Brüder irgendwie interessant – schon bei unserem ersten, nennen wir es: Kennenlernen, als man uns Frischlinge um zwei Uhr nachts auf den Flur hinaustrieb, um die Chefs kennenzulernen, die Brüder sahen mich – wasist denn mit deinen Haaren los? fragten sie, bist du ein Punk oder was? Später unterhielten wir uns oft über die nationale Wiedergeburt und die Seelenrettung, damals, mit siebzehn, versicherte ich ihnen, daß diese Begriffe identisch sind, und sie glaubten mir ganz offensichtlich, richtig peinlich, wenn ich es mir heute überlege. Ende der Neunziger, nachdem die kritische Masse an Narben und Gehirnerschütterungen erreicht war, hatten die Brüder keine Böcke mehr, mit Negern auf Fußballplätzen rumzufucken, vor allem, weil die Neger viele sind − ein ganzer Kontinent voll, und sie – die Oschwanz-Brüder – nur zwei, noch dazu nicht mal leibliche Brüder, also beschlossen sie, aus dem kriminellen Schatten herauszutreten und sich zu legalisieren, soweit das in unserer himmlischen Republik überhaupt möglich ist. Zuerst eröffneten sie in einem der Wohnheime einen Grill-Imbiß, was jedoch wenig an ihrem privaten und sozialen Leben änderte: Um die zweifelhafte Ehre von zwei unglücklichen Mitarbeiterinnen des Grill-Imbisses zu verteidigen, mußten Grischa und Sawa auch weiterhin jeden zweiten Abend gegen eine Übermacht antreten; Kröten verdienten sie kaum, und Spaß zählt nicht, wenn’s ums Geschäft geht, also machten die Brüder ihren Imbiß dicht und übernahmen einen Parkplatz. Das mit dem Parkplatz hätte auch fast funktioniert, aber aus angeborenem slawischem Leichtsinn und genauso angeborenen kriminellen Neigungen ließen es die Brüder zu, daß ein paar Freunde geklaute Autos aus Rußland auf ihrem Parkplatz abstellten, die dann in Ersatzteile zerlegt und in diversen BMW -Filialen verkauft wurden. Weil es wenige Filialen gab, aber aus Rußland viele Autos kamen, standen die geklauten Wagen manchmal wochenlang unter freiem Himmel. Und als die Konkurrenz eines Tages die BMW -Filialenan die Bullen verpfiff, stießen sie, also die Bullen, auch schnell auf den Parkplatz, wo unter zartem Frühlingsschnee die besten Exemplare deutscher Automobiltechnik vor sich hin rosteten. Es gelang den Brüdern, sich freizukaufen – mit einem kirschroten BMW ohne Motor, den sie von ihrem Parkplatz zur nächsten Milizstation schleppten. Der Konflikt war beigelegt, auch die Filialen schafften es übrigens, sich aus der Sache rauszuwinden, aber wohin mit den geklauten Autos, also verkauften die Brüder ihren Parkplatz einer Baugesellschaft als Bauland. Allerdings wehrten sich die Anwohner gegen die geplante Bebauung, aber das konnte den Oschwanz-Brüdern schon egal sein, und sie schauten sich alles nur interessiert und distanziert von ferne an. Einmal beteiligten sie sich sogar an einer Protestaktion der Anwohner, standen in der ersten Reihe und betrachteten den ehemaligen Parkplatz, wo schon die Fundamente ausgehoben waren, und wie der Bauleiter herumrannte und die Anwohner wegjagen wollte. Sawa trug eine Fahne der kommunistischen Partei, Grischa ein Transparent mit der Aufschrift NATO – Hände weg von ukrainische Erde. Sawa lachte seinen Bruder aus, was ist das denn für ein beschissenes Transparent, das du da hast? – fragte er. Grischa wurde sauer und antwortete, daß es überhaupt nicht beschissen, sondern ganz in Ordnung sei, das Transparent, stimmt doch, sagte er, nur Deppen verstehen das nicht, woraufhin Sawa seinerseits sauer wurde und in lautes Protestgeschrei ausbrach. Nachdem sie den Organisatoren der Kundgebung Fahne und Transparent zurückerstattet hatten, gingen die Brüder heim und dachten über die Launen des Schicksals und die unsichere wirtschaftliche Lage im Land nach. Als Erinnerung an den Parkplatz war ihnen eine schwere RolleStacheldraht geblieben, hundertfünfzig Meter, wenn nicht mehr, den sie nicht an die Bauleute verkauft, sondern aufgedreht und heimgetragen hatten. Der Stacheldraht lag mitten im Zimmer, wie ein beunruhigendes Echo des Krieges, an dem ihre Väter übrigens nicht teilgenommen hatten, weil Grischas Vater gerade wegen Mordes am Fahrer eines Geldtransporters einsaß und Sawa überhaupt keinen Vater hatte, und über welche Linie er ein Oschwanz war, wußte keiner so genau, obwohl die Verwandtschaft ihn lieber mochte als Grischa.
    Das neue Business war Sawas

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