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Hymne der demokratischen Jugend (German Edition)

Hymne der demokratischen Jugend (German Edition)

Titel: Hymne der demokratischen Jugend (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serhij Zhadan
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Idee. Abends saß er in der Küche und sah die Anzeigenblätter durch. – Schau mal, – sagte er eines Tages zu seinem älteren Bruder, der keine Zeitung las und den ganzen Tag auf dem Markt rumhing, gerade aber zufällig mal daheim vorbeigeschaut hatte, nervös durch die Zimmer strich und dabei manchmal an den Stacheldraht stieß, – schau – hier wird für alles mögliche Reklame gemacht, sogar für Sachen, von denen ich noch nie gehört habe, auf der Titelseite ist zum Beispiel Werbung für Behinderten-Wrestling, und im Teil »Kultur und Freizeit« kündigen sie an, daß die Baptisten sich jede Woche am Denkmal für die ersten Komsomolzen im Artem-Park treffen. – Na und? – fragte Grischa blöde. – Hohlroller, – sagte sein Bruder, – hast du denn keine Ahnung, was erste Komsomolzen sind und was Baptisten? – Ich scheiß auf alle Baptisten, – antwortete Grischa. – Da hast du natürlich auch wieder recht, – stimmte Sawa ihm zu, – aber hör mal, keiner bietet rituelle Dienstleistungen an. – Rituelle Dienstleistungen? – wunderte sich Grischa, – was sind das für Dienstleistungen, intime? – Nicht wirklich, – sagteSawa, – Beerdigungen und so, verstehst du: Kränze, Särge, wenn einer im Krematorium verbrannt wird – dann sind das rituelle Dienstleistungen. – Logo, daß für die keine Werbung gemacht wird, – bei Grischa machte es Klick, – bei uns sind die Krematorien doch staatlich. – Woher willst du das wissen? – fragte Sawa zweifelnd. – Ganz bestimmt sind sie staatlich, – versicherte ihm Grischa, – ich hab kürzlich Zhorik getroffen, kennst du Zhorik noch? Zhorik, dem die Tschetschenen ein Ohr abgeschnitten haben, wegen seiner Schulden, haben ihn dann selbst ins Krankenhaus gefahren, die Chirurgen hatten aber schon Feierabend gemacht, haben ihm zwar das Ohr angenäht, aber falschrum, also mußte es wieder abgenommen und neu angenäht werden, weißt du noch? – Und? – sagte Sawa. – Also er arbeitet im Krematorium, als Heizer. – Als was? – Heizer. Der kauft sich nie ne Fahrkarte, hat einen Wisch, daß er Beamter ist, dazu noch mit besonderen Privilegien, weil mit dem Ohr ist er jetzt auch noch behindert. – Was der so labert, dein Zhorik, – Sawa glaubte seinem Bruder nicht, – wenn die Krematorien wirklich staatlich sind, welchem Ministerium unterstehen sie dann? – Keine Ahnung, – antwortete Grischa, – vielleicht dem für Bergbau und Kohleindustrie.
    Aber Sawa ließ der Gedanke nicht los. Die Sphäre ritueller Dienstleistungen erschien ihm vor allem deshalb interessant, weil sie noch nicht besetzt war und man also gleich richtig und mit entsprechendem Tamtam einsteigen konnte. Sawa hörte sich also ein bißchen um, und Grischa traf sich mit Zhorik und füllte ihn ab. Solange Zhorik sich noch auf den Beinen halten konnte, behandelte er ihn von oben herab, forderte frische Servietten und Bier zum Wodka. Dann stürzte er abund heulte sich aus, sagte, daß er den Job als Heizer schon lange aufgeben will, daß er nachts von Kadavern träumt, aber wo soll er hin, nett sind die Kollegen ja, er ist dort wer, zum Geburtstag hat er eine Urkunde gekriegt, sie erfüllen den Plan und so weiter. – Soso, – sagte Grischa, – den Plan. Ihr seid also wirklich staatlich? – Ja, – Zhorik heulte wieder los, – wir sind staatlich. Noch dazu mit besonderen Privilegien. – Und was ist der Witz an deiner Arbeit? – fragte Grischa. – Zhorik schwieg eine Weile, bat um noch eine frische Serviette, wischte sich die Tränen ab und sagte: – Der Witz an meiner Arbeit ist, daß ich unersetzlich bin, verstehst du? – Erklär es mir, – bat Grischa. – Ich bin Heizer, – sagte Zhorik und wischte sich wieder die Tränen ab, – ich verbrenne wen auch immer, sogar meine eigene Mutter. Auf mir lastet die demographische Situation des Lenin-Bezirks, kapiert? Wenn ich morgen verrecke, bleibt der Kessel kalt, und es gibt keinen, der mich verbrennen könnte, kapiert? Weil nämlich ich es bin, der den Kessel warm hält und die Öfen am Laufen. Von mir hängt alles ab, so ist das. Sag mal, gibt’s noch Bier? – Aber ihr seid doch nicht das einzige Krematorium der Stadt, – bemerkte Grischa verwundert. – Klaro, – antwortete Zhorik, – aber versuch doch mal, einen Kadaver in einem anderen Stadtteil verbrennen zu lassen, na dann viel Glück. Wir sind staatlich organisiert, alles festgelegt, alles nach Plan, schon morgens schmeiß ich Kadaver ins Feuer, mein Kessel ist immer

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